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4. Juni 2013 2 04 /06 /Juni /2013 11:50

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Peter Pongratz - der Jazzer der art brut      

Gedanken an Dubuffet, an die Malerei von Kleinkindern, an die bildhaften Formen psychischer Zwänge (krank haft oder über Drogen induziert) stellen sich manchen Betrachterlnnen in den Weg, wenn sie Bilder von Peter Pongratz sehen. Art brut scheint die geeignete Stilkategorie zu sein, um Peter Pongratz historisch einzuordnen — viele Arbeiten der genannten Stilrichtung schätzt er und er unterstützt auch manche ihrer Produzentlnnen.

Zwei von der üblichen Interpretation abweichend und scheinbar in sich inkonsistent von mir verwendete Kunstkategorien bedürfen m. E. zum besseren Verständnis der Bilder von Peter Pongratz einer Erläuterung:

Pongratz ein Postmoderner? (Wo doch art brut als noch zur Modernen gehörig gilt, oder ist art brut keine Kunst?)

 

Art brut und der Kolonianismus im  Inneren und Äußeren (Dubuffet  und die Folgen)

Für die Impressionisten bildeten die Rezeptionsschwierigkeiten der Zeitgenossinnen noch eine Gegnerschaft. Erst Futuristen und Dada verlegten pointiert die Schranken in die Rezeption des jeweilig Neuen. Die Avantgarde der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte damals geradezu einen Kampf gegen das Verstehen, sie versuchte zumindest die Einfühlung — nicht umsonst ein Hauptwort der Zeit — zu retardieren.

Die Behauptung, Dubuffet bleibe ein Dorn im Kulturleben des 20. Jahrhunderts, kann man nicht mehr ernst nehmen. Zwischen Manifest und Werk besteht hier eine zu starke Divergenz.

Das System, das sich Dubuffet errichtete — polemisch, im Unterschied zu dem Duchamps aber frei von jeglichem Zynismus — ging von dem Glauben aus, dass es innerhalb der alles gestattenden Kultur noch Reservate gebe, die den Liberalismus in Sachen Kultur außer Kraft setzen könnten. Deshalb richtete sich das Interesse Dubuffets vor allem auf solche Äußerungen, die am Rande des Anerkannten auftauchten, auf die art brut. Der Begriff, der mit der „Bildnerei der Geisteskranken“ bei Hans Prinzhorn (1) schon 1922 gegenüber Cesare Lombrosos „Genie und Irrsinn“ (2) eine Nobilitierung erfuhr, wurde von Dubuffet variiert, um all die Formen kultureller Aktivität zu erfassen, die in solipsistischer Isolierung entstehen.

1945 begann Dubuffet systematisch, vorübergehend auch von dem surrealistischen Dichter und Theoretiker Andre Breton unterstützt (3) Werke von Psychopathen, Introvertierten, Sonderlingen, Provinzlern zu sammeln und auszustellen. Er spielte diese „Kunst“ (siehe Kunst versus künstlerische Artikulation), die in einem nicht-kulturellen Zusammenhang entstanden sein soll, gegen die Galerien- und Museumskunst aus.

Allerdings findet sich in der Argumentation, die Dubuffet heranzieht, eine erstaunliche Parallele zu Bretons Überzeugung, die Poesie könne und müsse von allen hervorgebracht werden (später auch bei Josef Beuys). So schrieb Dubuffet: „Ich bin völlig davon überzeugt, dass jedermann ohne besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten .. sich der Kunst verschreiben kann, mit aller Aussicht auf Erfolg.“ (4)

Peter Pongratz knüpft „kritisch affirmativ“ an diese Kunstströmung der art brut an: Postmodern d.h. ohne Illusionen, ohne Glauben ans Jenseits, ohne Verzweiflung oder Zynismus dem Diesseits verbunden, sich dessen Einzigartigkeit und dessen chaotischer zeitlichen Gerichtetheit (llya Prigogine (5) ist hier zu nennen) sehr bewusst. Ein Realist des Virtuellen, der realen Besonderheit in der Offenheit der zukünftigen Bewertung.

 

Vom anschaulichen Abbild zum konstruktivistischen Simulacrum (Modern versus Postmodern)

Modern ist, etwas zu tun, das unseren Wünschen und Vorstellungen entspricht: dies ist das Moment der Performativität, das uns zu Subjekten als tätige Wesen macht. Wir entdecken nicht einfach, wer oder was wir sind, sondern aufgrund der Tatsache, dass wir als lebendige Wesen ständig in Bewegung sind, verändern wir wertend von Minute zu Minute die Welt, in der wir wahrnehmen und handeln. Wir sind nicht nur ZeugInnen, sondern Erzeugerlnnen dessen, was wir als real (denkend und fühlend) erleben. Das lebendige Wesen ist ein Selbst im Prozess, ein Selbst im Werden, ebenso Produkt seiner Umgebung wie ihr Produzent. Eben deshalb hat das Selbst im Werden eine temporale Struktur. Es ist im Fluss, lässt sich nicht fassen oder verstehen durch eine statische Momentaufnahme. Wenn wir uns dennoch als Einheit wahrnehmen, so deshalb, weil wir unsere Multiplizität durch den Schematismus der Verdinglichung als Selbst und damit stabiles Eigentum (Ich) erleben. Wir verwenden dafür Symbole — oft genug von außen oktroyierte Symbole, die uns in unserer Vorstellung Einheit, Abgeschlossenheit und Stabilität verleihen. Diese Einheit ist aus diesem Grunde keine „reale“, sondern eine imaginäre, im Sinne von Cornelius Castoriadis (6) oder eine phantasmatische im Sinne Lacans. Bewusstsein, Geist, Symbolgebrauch sind nicht einfach faktische Gegebenheiten, sie verlangen nach einer ständigen Bearbeitung. In der analytischen Philosophie hat sich die Frage nach dem, was es heißt, ein Subjekt zu sein, oder was Subjektivität bedeutet, auf deren Form sprachlichen Ausdrucks verlegt, nämlich auf Aussagen in erster Person bzw. in der Ich-Form. Solche Aussagen haben, so wird festgestellt, die Form „Ich-Hier-Jetzt“ und enthüllen das Kernelement von Subjekt-Sein und Bewusstheit. Das heißt, sie verweisen auf die unaufhebbare Situiertheit, in der wir uns als Subjekte erleben. Situiertheit bedeutet aber zugleich, dass Leibhaftigkeit, Inkarniertheit essenziell sind für jede Manifestation des Selbst-Seins als Subjekt-Sein. Die Philosophien, vor allem die Merleau-Pontys, Langers und Plessners, sowie die Arbeiten des Neuropsychiaters Israel Rosenfield (7) liefern überzeugende Argumente dafür, dass die spezifisch geistigen Fähigkeiten des Menschen ihre Grundlage in den organischen Leistungen des Lebendigen haben.

Postmodern wird die oben so formulierte Modernität, wenn man sie illusionslos, ohne die alte Hoffnung auf ein Jenseits (auch nicht im Diesseits) zur gegebenen Realität, als unsere Zukunft positiv — wenn auch kritisch — bewertet, sie bleibt utopisch (kein Ort) dem Hier und Jetzt verbunden.

Die Unklarheit über die Differenz von künstlerischer Artikulation und Kunst (die Illusion Dubuffets u. a., dass jeder Mensch Künstler sei) blieb uns auch in der Postmoderne erhalten.

 

Kunst versus künstlerische Artikulation des Menschen (Kunst: Produktion des Rätsels und des verborgenen Lösungsweges)

Jede Artikulation mit poetisch-künstlerischen Mitteln ist ein allgemein menschliches Moment der praktischen Intervention und damit Mitteilung an konkrete oder/und abstrakte Adressatlnnen; unabhängig von Gesundheit, Bildung, Kultur, ökonomischen Interessen etc.

Die jeweilige künstlerische Qualität einer derartigen Formung der Mitteilung zeugt von spezifischen Fähigkeiten dieses Menschen und einem Überschuss in der emotionalen Intention/der Intensität des Mitteilenden. Dieses „mehr“ fordert geradezu die poetische Ästhetik/Form des Künstlerischen.

Eine damit verbundene Frage ist nun: Ist die jeweilige künstlerische Form ein Ergebnis der Rückwendung der historischen Kunstergebnisse in das Alltägliche/Überschwängliche (Romantik des Gefühlsausdruckes) oder das Ergebnis einer erlittenen oder gewollten ästhetischen Deformation der Weltreflexion? Je nachdem, wie die Antwort aus- fällt, kann von einem Kunstwollen oder von einer spezifischen, allgemein menschlich gegebenen, ästhetischen Artikulation gesprochen werden. Der Unterschied besteht nicht in der verschiedenen historischen ästhetischen Einbettung der Artikulation, sondern in der historischen Reflexionsfähigkeit des Kunstsystems als besonderer Form gesellschaftlicher Artikulation (nicht mehr oder weniger solipsistisch individuell, wie im Krankheitsfall). Diese historisch sich entwickelnde, gesellschaftliche Fähigkeit der ästhetischen Produktionen macht den Künstler aus. Nun liegt der spezifische Reiz der art brut -Form in einem besonderen ästhetischen Rückgriff (Kindheit, psychische Unterentwicklung /„Fehlentwicklung“, Solipsismus), welcher mehrfach überdeterminiert ist:

- romantisch, durch die Betonung der Unmittelbarkeit der Emotionen des imaginierten Kindes;

- als Gegenposition zu den disziplinierten Deformationen (Normen) der Kultur;

- als kritische Affirmation des Randständigen/Ausgeschlossenen in dieser Welt;

- zur widersprüchlichen/deformierten visuellen Abarbeitung der vorurteilshaften, realen Sicht;

- durch die Konnotation krank/Genie/nichtangepasst/Narretei der Kunst.

 

Von der Anschauung zum Denken des Unvorstellbaren

All die genannten Überdeterminationen nutzt Peter Pongratz in seiner radikalen, realistischen aber in art brut quasi versteckten Kunst. Eine Kunst der scheinbaren Naivität, die bösartig/boshaft das Böse zeigt. Selbst die Idyllen der „Bukolika“ sind hintergründig böse. Aber auch das Schöne, in den „Blumen der Nacht“ zur geheimnisvollen Blüte gebracht, widersetzt sich trivialer Schönheitssichten. Wir müssen uns zuerst von unseren visuellen Vorurteilen befreien, um seinen Chiffren (Hieroglyphen?) näher zu kommen. Im Gegensatz zu der künstlerischen Artikulation der geistig Behinderten und der Kinder sind die formalen Elemente von Peter Pongratz keine des inneren Zwanges oder Symbole der Gefangenheit, sondern, wie z. B. bei Lewis Carroll, die Mimikry des erstaunten Entsetzens im imaginierten Realen. Die Wahrnehmung der Rezipientlnnen wird spezifisch in ihrer vorurteilshaften Wertigkeit gestört, um die Botschaft in einem kritischen Terrain flottieren zu lassen. Das scheinbar Kindliche! „Kranke“ ist gar nicht kindlich, krank oder lieb. Es ist mit den „erwachsenen“ Inhalten unserer Zeit gesättigt, die da sind: Krieg, Unfreiheit, Ungerechtigkeit, aber auch Schönheit und Liebe.

 

Gefühlte Gedanken in verdrängten Bildern sehbar machen

Seit Picasso ist die künstlerische Gestik der deformierten Figur Ausdruck des Widerstandes und der Opposition gegenüber den realen Schrecken. Wie bei Baselitz die Umkehrung der Figur, bei Beibehaltung des Motivs, zur größeren Konzentration auf die formalen (intensivierenden) Aspekte der Malerei beiträgt, so nutzt Peter Pongratz die Formen der art brut. Das Motiv und die Form konterkarieren sich wechselseitig. Seine Musikalität, seine zweite Sprache, erweist der Malerei die Referenz in der Verstärkung. Wenn Pongratz uns emotionell gar nicht entlasten will, dann werden seine Bilder schwarz und schrecklich wie der reale Krieg….

Ironie ist das Mittel der Narren, um die Wahrheit sagen zu können. Pongratz ist ein Wahrheitssucher unter den Künstlern. Er hat mit Deleuze (Logik des Sinns (8)) von Lewis Carroll und anderen (die Einbindung in die reflektierte Kunstgeschichte macht ja den Unterschied zum Kind/Kranken) gelernt, die Einzigartigkeit der Grausamkeit des Realen real zu formulieren und virtuell zu übersteigern. Katharsis. Die scheinbar „vertraute“ Fremdsprache, die Pongratz benutzt, täuscht Bekanntes vor um, wie bei Alice, ins Unvorstellbare zu versinken, in die Tiefen unseres Chaos. Aber die Grammatik der malerischen Darstellungen mit ihren erkennbaren Regeln und Vokabular macht uns Hoffnung auf Sinn….

 

Anmerkungen:

1. Die sog. Prinzhorn-Sammlung mit Bildwerken von Geisteskranken, die Hans Prinzhorn 1919-1921 an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg betreute, stellte den ersten Versuch da die Schöpfungen psychisch Kranker zu analysieren.

2 .Cesare Lombroso (1 836-1909), italienischer Arzt und Psychiater, ist durch seine Veröffentlichungen über Beziehungen zwischen Genie und Wahnsinn und Ober Verbrechertypen bekannt geworden, die in der NS Zeit zur Legitimation von medizinisch-eugenischen Programmen herangezogen wurden. Seine Annahme, dass die Verbrechen eine Folge atavistischer angeborener Eigenschaften der Menschen seien, führte zur Begründung der Kriminalanthropologie und brachte ihm 1905 den Turiner Lehrstuhl für diese Disziplin ein.

3. Dubuffet betrachtete den Begriff art brut als sein geistiges Eigentum und behielt sich vor, sie als eine Art Gütesiegel selbstherrlich Künstlern jeweils zu- oder abzusprechen. Dieser Alleinvertretungsanspruch sowie die Eingrenzung auf seine eigene Sammlung — die Collection de`l art brut —wurden schon früh von Andre Breton und später von Harald Szeemann kritisiert.

4. In zahlreichen Texten versucht Breton, dem Begriff des Kunstwerks jeden Wert abzusprechen, das angebliche Privileg des Künstlers zu entmystifizieren, die Naivität derer ins Lächerliche zu ziehen, die in einem Bereich Karriere machen wollen, in dem Karriere-Ehrgeiz mehr als sonstwo unmoralisch ist.

5 .Ilya Prigogine (1917-2003) war ein russisch-belgischer Physikochemiker, Philosoph und Nobelpreisträger. Seine Arbeiten über Dissipative Strukturen, Selbstorganisation und Irreversibilität haben auch außerhalb der Chemie einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt.

6 .Cornelius Castoriadis (1922-1997) war ein griechischer Sozialphilosoph, Psychoanalytiker, Jurist, Widerstandskämpfer und libertärer  Sozialist.

7 .Israel Rosenfield: Das Fremde, das Vertraute und das Vergessene. Anatomie des Bewußtseins, Frankfurt 1992

8 .Gilles Deleuze: Die Logik des Sinns, Frankfurt 1989 (orig. 1969)

 

 

Reinhold Sturm,  „BUKOLIKA“, Katalog mel-art.com, 2007

 

http://www.mel-art.com/kuenstler_db.php?id=18

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4. Juni 2013 2 04 /06 /Juni /2013 11:36

 

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Linde Waber modern bis heute

Die Postmoderne Malerei ergeht sich in ihrem Missverständnis des Paradigmas der Kunst in der Nabelschau der Selbst-Interpretation. Die reine Subjektivität, die individuelle Kreativität der Künstlermonaden forscht und entwirft das Stirner`sche Bild des Menschen — sprich: einen Künstler, welcher nur seinem innersten Eigentum traut, es befragt und zur Produktion bringt. Eine Idee tausendmal, ein Leben lang variiert — Quelle und Garant der Originalität, wenn erfolgreich.

Linde Waber ist in diesem Sinn eine moderne Künstlerin — keine postmoderne, nicht ihr Selbst ist ihr die Quelle des Lebens und der Kunst, nein: In der Tradition der großen Realisten bezieht sich ihre Kunst auf die Realität, die Vielfalt menschlichen Lebens. Linde Waber sieht man in ihrem Werk nicht, sie arbeitet sich mit gegenstandsgerechten ästhetischen Mitteln an ihren Objekten ab. Linde bringt uns die Vegetationen in ihrer Essenz der Farb-/Form-Gestalt im Erlebniswerkzeug des Bildes nahe. Sie legt uns über taktiles Farb-Material und wesentliche Sichten der Vegetation zu Meer und zu Lande eine meditative Haltung und damit die Besinnung aufs Wesentliche des Farb-/Form-Naturerlebnisses nahe. Wir knüpfen  an unsere Seherfahrungen kritisch an, vertiefen und ergänzen sie um bisher Unerlebtes. Linde verdoppelt die Natur nicht, sie lässt uns ihre durch hunderte Werke gereifte Sicht- und Erlebnisfähigkeit über ihre Werke mit- und nacherleben. Ihre Abstraktionskraft gestaltet mit ihrem Formvermögen aus der Natur Kunsterlebnisse und Kunstobjekte, fixiert durch ihre Gestaltung Meerestiefen mit ihren Pflanzen, Tieren und Steinen zu unseren dauerhaften Erlebnisanlässen der Freude. Linde Waber bedarf weder der Schocks noch der Skandale, um als Künstlerin wahrgenommen zu werden.

Linde bleibt auch in ihren Atelierzeichnungen der objektivierenden Gestaltungsabsicht ihres zutiefst subjektiven Erlebnisses treu. Die Künstler als höchst unterschiedliche Persönlichkeiten, in ihren jeweils besonderen Arbeitssituationen, werden von Linde gezeichnet und wir, die wir in dieser Anzahl und Intimität nie diese Gelegenheit hätten, werden wie stille Beobachter in diese Situationen eingebunden.

 

Warum Linde das alles schafft? Linde lebt nicht — wie von vielen falschen Kunstfreunden oft von Künstlern gefordert — im Elfenbeinturm der Kunst, nein: Sie lebt und lebte ihr Leben sozial vital und voller Enthusiasmus, eingebettet in eine Unzahl von Projekten, Reisen und Kunstaktivitäten. Ihre Freude, Dynamik und Frustrationsfreiheit erleben wir auch in ihren Grafiken, Tuschzeichnungen und Bildern. Ihre reiche Lebenserfahrung, welche die Anregungen und Techniken aus Asien, Europa, der Karibik und Afrika kombiniert und in ihren Werken realisiert bringt in uns diesen wahren Reichtum zum Klingen.

Reinhold Sturm: Katalogbeitrag zur  Jubiläumsausstellung:  Linde Waber im Museum LEOPOLD, Wien 2010

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8. Mai 2013 3 08 /05 /Mai /2013 11:33

Rückkehr des Menschen als Riesen

Wahrer als im Leben - das kann nur die Kunst

 

linkvirgilius-moldovan-hitler-zereist-den-nackten-hasen.jpg                   moldovan-virgilius-mit-papsten.jpg

 

Die Wahrheit kann beunruhigen. Das erfährt jeder, der sich von Virgilius Moldovans hyperrealistisch dargestellten Figuren zur Übertretung jener Grenze verführen lässt, die uns gemeinhin als Scheu vor der obszoenen Intimität des Anderen erscheint und davor bewahrt, uns selbst zu genau in dessen Durchschnittlichkeit zu erkennen. So erhalten Moldovans Skulpturen ihre enorme künstlerische Kraft nicht aus der Perfektion ihrer Fertigung, sondern aus dem Nicht-Perfektsein ihres Gegenstands: des Menschen. Die Beunruhigung in dieser gestalteten Wahrheit über die  Kuenstler als Menschen , die gesellschaftliche Bedeutung der Gestalten (Picasso, Rembrandt, Warhol..) und deren Vergehen und Tod ist der Garant für das Gelingen der künstlerischen Arbeit. Durch den radikalen Bruch mit den Traditionen von Verklärung oder Kritik auf der einen und Abstraktion auf der anderen Seite gibt Virgilius Moldovan der Kunst ihren Kern zurück, den Menschen selbst.

Virgilius Moldovans Riesen flößen allein durch ihre Ausmaße Unbehagen ein, denn es steht immer die Frage im Raum: Und was, wenn sie sich doch bewegen?

Riesen flößen auch Angst ein. Es ist ihre ungeheure Größe an sich, die beängstigt, denn selbst wenn ein Riese harmlos wäre, so sind zumindest seine Bewegungen immer etwas unberechenbar. Außerdem berichten Sagen und Märchen meistens über schreckliche Riesen. So musste Zeus, der griechische Göttervater, die Giganten, riesige Mischwesen der griechischen Mythologie aus Menschen- und Schlangenleibern, in harten Kämpfen besiegen und er verbannte sie danach aus der Welt und tief unter die Erde.

Männlichkeitsposen und Weiblichkeitsbilder werden nun zu grotesken Metaphern des Körpers zugespitzt. die von ihm für seine Arbeit entwickelten Stilmittel, die die herkömmliche Tradition der Plastik aufbrechen und einen neuen künstlerischen Kontext errichten. Virgilius Moldovan gestaltet seine Skulpturen aus einem manieristischen Geist künstlerischer Souveränität. Damit distanziert er sich entschieden von jener unseligen Aura aus falschem Pathos und Heroismus, die so oft im zwanzigsten Jahrhundert mit der Idee vom Körper in der Plastik verbunden war.

Neben den genuinen Eigenschaften des Riesigen wie Angst und Unbehagen bestimmen poetischer Humor und ein sich Einlassen auf die Freiheit der Inspiration  die Haltung und die Arbeiten des Künstlers und umgeben sie mit einer Dimension menschlicher Heiterkeit und unaufdringlicher Souveränität. Wie in jeder bedeutenden Kunst praegen die Komplexitaet und widerrspruechliche Kombinationen der emotionalen Intellektualitaet deren Wirkung vorallem im SUBVERSIVEN. Witz und Humor waren von jeher ein probates Mittel zur Subversion von Geistlosigkeit und Machtstreben. Auch im Werk Virgilius Moldovans ist das Burleske der Grund aus dem sich die plastischen Metaphern seiner Figurationen entwickeln. Das Burleske ist  heute selten in der Kunst, es ist schwer zu machen und wirkt als Prophylaxe gegen den in der Kunst weit verbreiteten Weltschmerz. Umso eindringlicher wirken die aus einer sehr persönlichen Poetik gestalteten Figuren Virgilius Moldovans, in denen Poesie und der Geist der Groteske ein zutiefst menschliche Panoptikum der Posen und Gebärden unseres Lebens errichten.

Nur aus freundlichen Kindererzählungen ist auch der Typus des traurigen Riesen bekannt, der einsam ist und damit hadert, dass ihn alle für gefährlich halten.

Virgilius Moldovan muss an diese traurige Sorte Riesen in burlesker Absicht gedacht haben, als er den zwei Meter vierzig grossen Picasso oder sein zehnmalgrosses Baby formte. Denn darin unterscheiden  sich Moldovans Figuren grundlegend von Kolossalstatuen  in der Geschichte der Kunst, die stets die Größe und Stärke eines Menschen, eines Gottes oder einer Stadt beweisen sollten. Der riesige Picasso ist nackt  und  sucht selbst nach Schutz. Er wirkt unsicher, ausgesetzt und schwankend. Er zeigt sein erregiertes Glied und blickt in die Ferne der Kunst. Diese Ambivalenz zwischen dem Genialen und dem Genitalen macht unser  Hin- und Hergerissensein  noch besonders unberechenbar.

Unser Erschrecken oder Schmunzeln über seine paradoxe Größe rührt noch von etwas anderem her. Im Gegensatz zu den meisten gigantischen Statuen - wie etwa der Figuren des wiener Heldenplatzes oder dem Straussdenkmal - hat Virgilius Moldovan den Picasso lebensecht dargestellt. Fast immer wird bei einer kolossalen Vergrößerung auch die Vergröberungen der Darstellung in Kauf genommen. So wirken die Einzelteile der Heldenstatuen  plump bis gänzlich abstrakt (ungegenständlich). Schaut man aber den Picasso oder das Baby von Virgilius Moldovan im Einzelnen an, dann sieht man menschliche Körperteile in enormer Vergrößerung haarfein nachgebildet. Die Haut hat Poren, Falten, Adern und wirkt bis auf deren morbide Faerbung echt. Das Gleiche gilt für die Haare und die Augen. Das Unheimliche an den Figuren ist, dass sie in ihrer Größe so durch und durch menschengleich dargestellt sind.

Kunsthistorisch nennen manche solche Darstellungen hyperreal - also realer als real. Es ist paradox : Erst ein Kunststoff erlaubt diese Überrealität der Darstellung von Lebendigem. Als Erster hat in den 1960er Jahren der Amerikaner Duane Hanson detailgetreue Plastiken von Menschen geformt, deren Vorbilder er in den amerikanischen Shoppingmalls und am Rand der Gesellschaft fand. Hanson verwendet dafür, Polyester und Fiberglas, die dann bemalte und angezog, Virgilius Moldovan verwendet Silikon, mit implementierten Adern und Hauttiefenstrukturen, manchmal die Simulation fliessenden Blutes oder Speichel. Während Hanson den Alltag für sich sprechen lässt, will Virgilius Moldovan mit seinen Figuren immer einen Moment des Übergangs zwischen Alltag, Kunst, Trivialitaet, Koerper Geist und  Leben und Tod treffen. Dafür gestaltet er seine nackten Figurenimmer größer  als ihre Vorbilder (wobei die Koerper lebendige Vorbilder aus Moldovans Leben haben, die Koepfe und Koerpererkennungsmmarken stammen aus der Kunstliteratur).  Sie werden zu Zwischenwesen: Einerseits gehören sie in eine andere - entweder verborgene oder jenseitige - Welt der Kunst, andererseits sind sie als Körper im Raum anwesend und in allen Details sichtbar. Diese Ambivalenz und Zerrissenheit spüren wir auch vor dem gigantischen Picasso. Er steht  mitten unter uns, ist einer von uns, obwohl er nicht von dieser Welt sein kann und aus einer anderen Zeit, aus einer verlorenen oder verborgenen Vergangenheit kommt. Denn er erinnert alle seine Betrachter an die Verbote der Sexualitaet, des Obszoenen, dem Voeurismus unserer Tage, die Aengste der Kindheit, an Erfahrungen von Einsamkeit und Zaghaftigkeit, an eine unbestimmte Angst vor dem Leben, die im alltäglichen Lebenslauf vergessen und verdrängt wird. Durch seine Größe konfrontiert uns (stellt uns gegenüber) der Picasso nachdrücklich mit der Größe und der Unausweichlichkeit der menschlichen Angst vor der Existenz, d.h. vor dem Leben, dem Sein, der Welt, der Wirklichkeit.

 

Reinhold Sturm, aus dem Katalog (mel-art,  Wien 2006)

Video in OKTO -TV zu Virgilius Moldovan

http://okto.tv/artmovement/7603/20110926?page=2&view=list

link

 

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8. März 2013 5 08 /03 /März /2013 20:14

Der „Virtuelle Realismus“ , Bemerkungen zur  bildenden Kunst aus der Sicht des des Virtuellen Materialismus,  work in progress

                                                                                                                                                                    

Der Bürger wünscht die Kunst üppig und das Leben asketisch; umgekehrt wäre es besser.

Theodor W. Adorno

 

                                                                                                                                 Reinhold Sturm

 

Paradigmenveränderung in der Kunst und Wissenschaft des 20. Jahrhunderts

 

Im 20. Jahrhundert entwickelten sich zusätzlich zur Materiellen Produktionssphäre die beiden Sphären

der Geistigen Produktion - Wissenschaft und Kunst - sehr dynamisch zu relativ eigenständigen

Systemen innerhalb der kapitalistischen Ökonomie. Das bedeutet, dass die Anzahl der damit

Beschäftigten und deren soziale Bedeutung stark wuchsen. Voll entfalteten sich diese beiden Sphären  erst in der 2. Hälfte des Jhdts mit der Entwicklung der Informatik und  ihrer Vermarktung und Unterordnung unter den ökonomischen Wert (vgl. Allg. Werttheorie). Die Wissenschaft, speziell die  Naturwissenschaft produziert das allgemeine gesellschaftliche Wissen über das Reale in einer globalisierten (allgemeingültigen) Sprache – die Entwicklung der Physik und Mathematik begünstigten die materialistisch deterministisch/kausale Realitätsauffassung und den philosophischen Formalismus im Sinne der Reflexion der mathematischen Methodik (Logische Positivismus). Gleichzeitig wurden fundamentale Paradigmen der Naturwissenschaft, welche auch in der alltäglichen Weltanschauung, besonders der Intellektuellen eine Rolle spielen, erschüttert:

Es revolutionierten sich die Auffassungen zur Raum – Zeitbeziehung (Aufhebung deren kantianischen Trennung), zur Struktur/Dynamik der physikalischen Materie, zum Determinismus durch die Stochastik/Unschärferelation, über die Struktur des individuellen Bewusstseins und der Massen  (durch den Freudianismus und die romantische Illusion des „Genies“ des Unbewussten). Es entstanden ungeheuer wirksame neue Medien wie Rundfunk und Film zur Verbreitung von Informationen und künstlerischen Produkten und als Mittel der  Massenbeeinflussung.

Der Zerfall bisheriger sozialer Normen durch die Entwicklung des Kapitalismus und seiner Kriege führte u.a. zur ideologisch vermittelten Dichotomie:  Subjektivismus versus Kollektivismus. Dagegen entwickelte sich der soziale Konstruktivismus, welcher das aktive Prinzip menschlicher Praxis/Erkenntnis versus den Fatalismus betonte, der die sozialen Gesetze (Sachzwänge) für naturgegeben hält. Es entwickelten sich revolutionäre Perspektiven und Illusionen, daneben wurden Reformideen des Kapitalismus entwickelt, letztere sollten die Not der Arbeiterklasse und damit das revolutionäre Potential in Grenzen halten (seit 1917 gab es die reale Drohung der antikapitalistischen Revolution: in Russland, Ungarn, München…), der internationale Kampf gegen diese Drohung wurde sofort mit allem Mitteln  aufgenommen…

Diese gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, beginnend am Ende des 19. Jahrhunderts, wurden, vermittelt über diverse ideologischen Umbrüche (feudale, bürgerliche, sozialistische, anarchistische, religiöse, pseudowissenschaftliche,  spiritualistische (Vitalismus, Mesmerismus…)),  auch in den Köpfen und der Praxis der KünstlerInnen wirksam. Der „Gegenstand“ der Kunst, die Rolle der Produzenten, der Auftraggeber, der Interessen, der Rezipienten der Künste, das gesamte Kunstparadigma wurde in seiner historischen Erscheinung in Frage gestellt, bzw. verworfen.

Die Künste befreien sich oder werden durch die beginnende Kunstmarktentwicklung in die Freiheit gedrängt, um ihre bisherigen  direkten Abhängigkeiten aufzugeben. Daß heißt:  ihre Funktion im Bereich  von Herrschaft, Reichtum, Dekoration, Traditionalismus, Akademismus. Die bisherige direkte Abhängigkeit der Künstler wird nun über das Geld und Kapital vermittelt (genannt der Markt),die Künstler werden isolierte Warenproduzenten, was die ökonomische Flexibilität des Kunstmarktsystems erhöht und den Mittlern im Markt (Händler, Kritiker, Lehrer, Museen, Journalisten….) neue Geschäftsfelder und  teilweise gigantische Profite zu realisieren ermöglicht.

 

Ideologisch zeigte sich diese gesellschaftlichen Veränderung in der Einbettung der Kunstideen  in die moderne Wissenschaft und Pseudowissenschaft (Allgemeine Fragen der Wahrnehmung, Psychologie, Soziologie, Raum-Zeit …), oder in Spiritualismen und die zunehmende Mystifizierung des Kunstschaffens, den Eklektizismus der Methodik und Form, der Unterordnung der Kunstproduktion unter das individuelle Erwerbstreben (Berühmtheit um der Berühmtheit willen , beginn des Branding) und die Aufgabe der Ausschließlichkeit der europäischen Tradition in der Kunst und Ausbeutung der „kolonialen Kunst“, ohne sie als Kunst vorerst (bis in die 2. Hälfte des 20.Jhdts) anzuerkennen (Volkskunde-Museen).

Nur selten erkennt man in Klarheit, dass der Gegenstand der Kunst (Künste) in der konstruktiven Entfaltung der Sphäre der sinnlichen Besonderheit (Einzel/Allgemein, das gesellschaftlich bedeutende  subjektiv-humane) des Menschen als gesellschaftlichem Individuum liegt, welches durch die Dialektik der Wissenschafts- / Produktivkraftentwicklung und der regional-kulturellen Gebundenheit der Subjekte auf die europäische Kunsttradition noch selbst in der Aufnahme der außereuropäischen Kunsteinflüsse

gesellschaftlich/historisch europäisch/amerikanisch determiniert ist. 

Daneben / dagegen entwickelt sich mit der sozialen Revolution eine Kunstströmung des sozialen Engagements, verbunden  mit den Kämpfen der subalternen Klassen.

 

Die ideologischen Wirrungen dieser Umbruchsituation führten zu diversen Verabsolutierungen in der Destruktion des Tradierten und zu experimentellen und scharlatanischen Innovationen. Zusätzlich  zerstörten Kolonialismus, Weltkriege und Revolutionen die scheinbare Sicherheit ästhetisch / künstlerischer Auffassungen am Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese Epoche der chaotischen Des- und Neuorientierung sollte über die Klassenkämpfe, Faschismen, Weltkriege und kalten Kriege bis ins letzte Viertel des 20. Jahrhunderts dauern und erst mit der Globalisierung und Stabilisierung des Globalen Kapitalismus in seiner lokalen Kriegsdynamik und deren postmoderner Normen zur USA / europäisch induzierten Weltkunst sich entwickeln.

 

„Welche philosophischen Fragen stellen sich nun die postmodernen chinesischen Künstler? Genügt es ihnen die Nachahmung der westlichen Kunst zum Maßstab zu nehmen bzw. deren Distanzierung oder Übersteigerung? Ist die historische Referenz schon ausreichend, um an die europäische Kunsttradition anzuknüpfen, bzw. ins Welt-Kunstsystem einzudringen ? Gibt es so etwas wie eine Wahrheitssuche der Form, den Anspruch auf das Wesen des Werkes, welches sich nicht unmittelbar erschließt oder ist jedes Werk lediglich eine dekorative Erscheinung, Dekor des wachsenden Reichtums, ohne tiefere Bedeutung, da nur existierender Schein? Ist der Schein das Wahre der postmodernen Kunst, gibt es kein Wesen dahinter?“

(aus: R.S. „Die postmoderne chinesische Malerei der Gegenwart“ 2008)

 

Die künstlerische Artikulation des Menschen und die Kunst

 

Jede Artikulation des Menschen mit poetisch künstlerischen Mitteln ist ein allgemein menschliches Moment seiner praktischen (=sozialen) Intervention und damit Mitteilung an konkrete oder/ und abstrakte Adressaten; sie ist abhänging von Gesundheit, Bildung, Kultur, ökonomischen Interessen etc. 

„Die jeweilige künstlerische Qualität einer derartigen Formung der Mitteilung zeugt von spezifischen Fähigkeiten dieses Menschen und einem Überschuss in der emotionellen Intention/der Intensität des Mitteilenden. Dieses "mehr" fordert geradezu die poetische Ästhetik/Form des Künstlerischen.

Eine damit verbundene Frage ist nun: Ist die jeweilige künstlerische Form-Inhaltsverarbeitung  ein Ergebnis der praktisch/kritischen Reflexion der Aneignung historischer Kunstmethodik und deren Überführung in den Produktionsprozess? Wird mittels einer gewollten und gekonnten ästhetischen De/formation der Weltreflexion ein Werk geschaffen oder ist es das Ergebnis einer ausschließlich subjektiven (jenseits der Kunstgeschichte)  Formfähigkeit und Formerfahrung? Je nachdem wie die Antwort ausfällt, kann von einem Kunstwollen/einer Kunstfähigkeit (es entsteht ein virtuelles Kunstwerk bis zur realen gesellschaftlichen Anerkennung) oder von einer spezifischen, allgemein gegebenen, ästhetischen Artikulation (im  jeweilig erfahrbaren Formkontext, kann auch dieses Objekt durch seine gesellschaftliche Anerkennung zum Kunstwerk werden, quasi ex post) gesprochen werden. Der Unterschied besteht nicht in der jeweils verschiedenen historischen ästhetischen Einbettung der Artikulation, sondern in der historischen Reflexionsfähigkeit innerhalb des Kunstsystems- eine quasi dissipative Struktur -  als besondere Form gesellschaftlich (nicht mehr oder weniger solipsistisch individuell, wie im Krankheitsfall)  anerkannter Artikulation. Diese historisch sich verändernde, sich  zeitweise auch entwickelnde, gesellschaftliche Fähigkeit der ästhetischen / künstlerischen  Produktion macht den gesellschaftlich anerkannten Künstler aus. Da die Gesellschaft selbst komplex und antagonistisch organisiert ist führt  dies zu einem ebenso komplexen und differenzierten Anerkennungssystem für den Künstler, wobei sich auch hier die kapitalistische Dominanz des Tauschwertes tendenziell durchsetzt.   Nun liegt der spezifische Reiz der art brutform in einem besonderen ästhetischen Rückgriff (Kindheit, psychische Unterentwicklung/"Fehlentwicklung", Solipsismus), welcher mehrfach überdeterminiert ist.“ (R.S. Katalog zu Peter Pongratz, „Bukolika“, 2007) 

 

Historischer Exkurs zur Kunst-„Entwicklung“ der „Modernen“ (ob es denn nicht nur sozial abhängige Veränderungen und keine „Entwicklungen“ der Kunst gibt ?) 

Die Schocks der Sozialen Kämpfe, der Weltkriege, des Faschismus und des Kalten Krieges 

Das SYSTEMUMFELD der KUNST des zwanzigsten Jahrhunderts 

Bürgerkriege oder bürgerkriegsähnliche Zustände seit der Französischen Revolution (mit der Intervention aller europäischer Königshäuser!), der europäischen bürgerlichen Revolutionen von 1848  und insbesonders der Pariser Commune (hier hatte ja die französische und die deutsche militarisierte Herrschaft gegen die Rebellion zusammengearbeitet, das Modell für die Interventionen in der UdSSR nach 1917)  in vielen europäischen Ländern zur Durchsetzung minimalster sozialer und demokratischer Standards gegen den Pomp und Reichtum der feudalen Herrscherhäuser und Kapitalisten, deren hemmungslose kapitalistische Gier, Betrug in allen Sphären (Börse. Immobilien, AG´s und Korruption in allen Staaten) verbunden mit brutalstem, menschenverachtenden (rassistischen!) Kolonialismus.

Das Bürgertum hatte europaweit nach 1848 kapituliert und die Reaktion 1870 bis 1914  brutal zugeschlagen. Das war einer der Basiserfahrungen, die zur Entwicklung der europäischen Barbarei der ersten Hälfte des 20. Jhdts führte. Zuerst der Erste Weltkrieg als imperialistischer Raubkrieg mit schwersten traumatischen Folgen für Individuum und Gesellschaft, dann die Russische Revolution mit massiver äußerer und innereuropäischer Reaktion gegen alles Linke. Danach der Krieg gegen den Bolschewismus durch Entente und dann durch den Faschismus. Zig Millionen  Kriegs -Tote, Millionen Opfer des Holocaust, Ermordung des Großteils der linken und humanistisch gesinnten Intelligenz im Faschismus, dazu noch die Opfer des Stalinismus. Es folgte der Kalte Krieg mit der Atomkriegsdrohung und den Befreiungskriegen in Afrika, Asien und Lateinamerika.

Nach 1945 die Zeit des  Fordismus und der wissenschaftlich – technischen Revolution,  Ausbau der sozialen und demokratischen Standards in Westeuropa und Nordamerika in der Auseinandersetzung mit dem „Realsozialismus“ und der erstarkten Arbeiterbewegung. Extreme Beschleunigung der Technologieentwicklung ab 1970, Informatik,  Automatisation, Postfordismus, Künstliche Intelligenz, Roboter… Globalisierung des Kapitalismus. Ende der „real-sozialistischen“ Regime in Osteuropa und Beschleunigung roll-back der sozialen Standards und der Arbeiterbewegung in USA und Europa. Zunehmend Vergesellschaftung von privatwirtschaftlichen Risken und Verlusten. Weltweit weiterhin permanent lokale aber große Kriege. 

Der Kunstbegriff, von der Moderne zur Postmoderne

wurde schließlich in der Kunstpraxis  so weit ausgedehnt und ausgereizt, dass negative Werte wie Banalität, Kitsch, Abfall, Pornografie als Differenzkriterien zur Kunst unbrauchbar geworden oder als Readymades künstlerisch vereinnahmt worden sind.

Klassische Gegensatzpaare wie schön und hässlich, gut und böse, die noch im Projekt der „nicht mehr schönen Künste“ des 19. Und beginnenden 20 Jhdt. wirksam waren, greifen nicht mehr so recht. Geblieben vom Projekt der Moderne ist eine ästhetische Entgrenzung - die mangels Barrieren und Tabus, die noch zu überwinden wären –  zur Tautologie der Wirklichkeit wurde.

Dieser „Entwicklung“ entspricht die Koketterie des Formalismus mit dem Zwang zur technischen Modernität, um ein marktmäßiges Differenzierungspotential und eine metaphysische „Freiheitsauffassung“ zu intendieren. Das Branding wird zum zentralen Marketinginstrument.

 Auch das Missverständnis, dass Kunst allgemeingültige Wahrheiten quasi als Konkurrenz zur Wissenschaft bieten könne, förderte formalistische Ausprägungen im Sinne einer Welt-Kunstsprache ohne Realitätsbezug als die der Referenz zur Kunst selbst. Die Verherrlichung der Kunst-Technik, der Forminnovation,  der Enthumanisierung vertrieb den Menschen und seine sinnliche Differenzierung aus der Kunst und ersetzt sie durch den feinen Differenzierungsgeschmack der Elite und deren Experten (so z.B.: Bourdieu). Aber die Allegorie kehrt als Farce im 21. Jhdt.  zurück. 

Was wir vom Projekt der Moderne ins 21. Jahrhundert übernahmen, ist eine von ihrer permanenten Selbstdestruktion (Dekonstruktion) bedrohte Kunst: Die Postmoderne, die Kunst des globalen Kapitalismus. Die Gegenwartskunst hat auf weiten Strecken vergessen, dass sich Kunst, grenzüberschreitende, emanzipatorische Kunst, im Gegensatz und Widerspruch zur Herrschaft, oder der partiellen Aufhebung der Entfremdung des Alltages und nicht in der totalen Kommunikation mit kapitalistischen Gesellschaft verwirklicht. Heute ist die Kunst  weitestgehend der raffinierte Schein der ideologischen Indoktrination der Eliten und Massen unter dem Mantel der „Freiheit“ und des Genusses. Die Kunst wurde zum wa(h)ren Genuss-/Distinktionsautomaten der herrschenden Klasse(n) und die Massenkunst zum neuen ultraprofitablen Heroin fürs Volk. 

Gibt es heute  noch die zu Marxens und Brechts Zeiten vermutete maulwurfartige Kunst der sinnlich wahrnehmbaren Kritik, der Ausnahme und Verarbeitung von impliziten Widersprüchen im herrschenden Ideologischen, welche  die Kämpfe der Klassen und Schichten, Völker und Institutionen in ihrer performativen Sprache kritisch artikuliert und diese permanent im Flotieren der Bedeutungen, besser gesagt: in der Umwertung der Werte sichtbar macht ?

Ohne Illusion betrachtet, findet auch diese Dimension, abhängig von Spekulationsinteressen und Markt“zwängen“, spätestens seit dem Ende des 20. Jahrhunderts immer wieder Zugang zum ökonomischen System der Kunst – wird von ihm höchstens als Mode vereinnahmt.

Die wesentliche Erkenntnis, dass ein privilegierter Ort, ein privilegiertes Subjekt, eine privilegierte Klasse oder Ideologie als Begründung eines hegemonialen Kunst-Wissens angenommen werden kann, ist nicht so idealistisch oder weltfremd wie oft behauptet, eben weil sie die machtmäßige, materielle Privilegierung der herrschenden Eigentümer nicht außer Acht lässt. Das privilegierte Subjekt ist die Herrschende Klasse und ihre Verbündeten, die Kunst spricht deren Sprache. 

Das  reallegoriesierte Bild 

In ihrer Ausrichtung auf die Abstraktion musste jede Hinwendung zur gegenständlichen Malerei als Verrat erscheinen. Auf einer anderen Ebene gilt für die gegenständliche und ungegenständliche Kunst in der Moderne, dass beide Richtungen zur Moderne gehören. Doch während die ungegenständliche Kunst insbesondere seit 1945 fraglos als Hauptweg der Moderne akzeptiert, in USA nach 1945 inbesonders in der McCarthy Ära gegen den Kommunisten Picasso fast diktiert wurde, konnte sich die gegenständliche Kunstströmung lange Jahre lediglich im Abseits, d. h. auf den Nebenwegen des kalten Krieges halten.

Parallel zur Absage an die Abstraktion muss es verständlich erscheinen, dass den Avantgarden unseres Jahrhunderts das Ausspielen von Figuration gegen  Abstraktion als Ausdruck einer reaktionären Haltung gelten musste. Die Postmoderne ist die „ästhetische Neubesetzung der Allegorie“. Die Kunst den ‚Bindungen des schönen Scheins’ zu entheben und ihr die ‚Relevanz einer das Leben durchdringenden und das Leben verändernden Kraft’ zu verleihen, war das historische Programm einer dominant linken aber quantitativ schwachen Entwicklungslinie der Avantgarde. Dagegen geht es in den postmodernen Werken der Kunst und der Architektur um eine „Wiedererlangung eines fiktiven Gehalts, der durch den Versuch der Moderne, Kunst ins Leben zu überführen, geopfert worden sei. Dieser fiktive Gehalt könne ausschließlich unter der Bedingung einer Neuerrichtung der ästhetischen Grenze zwischen Kunst und Wirklichkeit in die Kunst zurückgeholt werden (so die Apologie vom Ende des Endes der Kunst..)“ 

Das bewegte Bild

Klotz und Weibel zufolge können wir nach dem Ende der Malerei einzig und allein das bewegte Bild als Bild noch akzeptieren. Im amerikanischen Pavillon der Biennale 1995 fanden wir über die Darstellung avancierter Medien der Bildproduktion hinausgehend den Versuch, das Bild nach dem Ende der Malerei herzustellen. Das war der Versuch von Bill Violas Video-Räumen. Die Arbeiten Violas, aber auch diejenigen von Nam June Paik, Gary Hill, Bruce Nauman, stehen in der Logik der formalen Konsequenzen, die Impressionismus, Kubismus, Abstraktion, Visualisierung von Konzepten und Reallegoriesierung von Bildern gezogen haben. Nach dem Ende der Malerei sind Bilder, die den Anspruch, Kunstwerke zu sein, erheben wollen, nur als bewegte Bilder denkbar, die stilgeschichtlich Klotz zufolge einer „zweiten Moderne“ zugerechnet werden müssen. 

In diesem Sinne sind die Bilder Heimo Wallners in den Grafik-Animationen „MENUDO“ und „MAO“ Wieder Allegorien, aber nicht passive Allegorien einer stillstehenden sinnlichen Erscheinungswirklichkeit, sondern Simulacren der Imaginationen. Der Grundzug des virtuellen Realismus besteht für Wallner in der Reillusionierung der Bewegung der IMAGINATIONEN.

Hatte die Kunst der Neuzeit den Versuch, auf der zweidimensionalen Fläche die Illusion einer dritten Dimension hervorzurufen, bis an seine Grenze getrieben, versuchen die Installationen der Medienkunst, die Illusion der Wirklichkeit als Bewegung zu erzeugen indem sie dem Rezipienten „Maschinen der Sinnlichkeit“ zum Gebrauche bieten. Der neue Aspekt des Simulacrums, also die Zeitlichkeit, war der auf den räumlichen Aspekt fixierten Malerei seit der Renaissance nicht in den Blick gekommen. Erst mit den technischen Voraussetzungen der Medienkunst konnte die Bewegung als Grundzug der imaginativen Wirklichkeit entdeckt und dargestellt werden (vgl. auch C. Castoriadis über die IMAGINATION) . Nach der Moderne und der Postmoderne, also nach der schrittweisen Abhebung der malerischen Ebenen des Illusionismus und nach der Reallegoriesierung des Bildes, entsteht mit der Medienkunst eine neue, eine zweite Moderne in der Kunst. Die Moderne, die aus dem Bruch mit dem Abbild hervorgegangen ist, hat das Gemälde auf seine dingliche Realität zurückgeführt. Die Postmoderne, die nach dem ersten Ende der Malerei der konkreten Kunst für eine Reallegoriesierung des Bildes eintritt, erneuert damit nicht wirklich die Malerei, wie Klotz es beispielsweise herausgestellt hat, sondern knüpft an Tendenzen an, die bereits bei Max Beckmann, beim späten Picasso und beim späten de Chirico vorzufinden waren und vollendet damit endgültig die Malerei des figurativen Standbildes, d. h. des unbewegten Bildes. Die Postmoderne ist also neu und zugleich auch alt, insofern nichts wirklich Neues nach der Moderne, sondern lediglich eine Phase in der Moderne. Die Medienkunst, die in der Tradition der Malerei seit der Renaissance nicht mit dem Illusionismus, sondern mit der Bewegungslosigkeit des Tafelbildes bricht und das bewegte Bild zur neuen Kunst erhebt, ist damit zur Kunst nach dem Ende der Malerei geworden. Aber diese Kunst nach dem Ende der Malerei ist nicht etwas absolut Neues. Denn die Medienkunst hat die Grenze, die die Moderne sich selbst gesetzt hat, nur wieder einmal überschritten. Und damit ist sie nichts mehr und nichts anderes als eine „andere Moderne“.

Der postmoderne „Virtuelle Realismus“ als kritische Überwindung des Modernen Formalismus

Das Ende der Kunst ?

Das Ende wurde von Hegel bereits Anfang des 19. Jahrhunderts angekündigt und steht für eine Krise der Repräsentation des Ideellen, die auch zu Beginn diesen Jahrhunderts von Künstlern wie Duchamp und später von Lyotard u.a. als Krise der Repräsentation überhaupt dargestellt wurde.

Aus einer berechtigten Kritik an dem überkommenen Erkenntnisparadigma der passiven Widerspiegelung (welches vor allem dem Positivismus inhärent war) bzw. der Emanation des Geistes (Gottes)   wurde in deren Verabsolutierung eine der verhängnisvollsten Antworten auf die erkenntnistheoretischen Fragen der Kunst und der Wissenschaft gegeben. Diese noch heute weitverbreitete Meinung  war und ist ein agnostischer Abgesang und gibt Raum für Obskurantismus und Idealismus aller Spielarten. Diese Auffassung entspringt der Gegnerschaft gegen einem Popanz einer passiven Abbildtheorie, der schon immer dogmatisch veraltet war, wenn auch im Stalinismus und in der Vulgärphilosophie bis heute weit verbreitet. Ein „Abbild“ - jede theoretische (gedankliche) Leistung - ist das Ergebnis einer konstruktiven psychischen (gesellschaftlich/individuellen) Handlung, aber,  entgegen solipsistischer Behauptungen des radikalen Konstruktivismus, an die einzigartige Realität und damit die menschliche Praxis gebunden.

Die Behauptung des Endes der Kunst impliziert die zählebigen Redensarten wie die „Vertreibung desMenschen aus der Kunst“ oder den „Verlust der Mitte“, womit der Kulturkonservatismus von Ortega y Gasset bis Hans Sedlmayr das Projekt der linken Moderne (übrigends immer nur eine äußerst kleine Anzahl der Künstler könnte man als links bezeichnen, wenn auch davon viele herausragende)  zu torpedieren versuchten. Wobei man ja Sedlmayr zugestehen muss, dass er wusste wovon er sprach, da er sich um die Funktionalität der Kunst zur Aufrechterhaltung der Herrschaft des Kapitalismus sorgte. Ortega y Gasset konnte der Kunstentwicklung in den Zwanzigerjahren durchaus dies als Positives abgewinnen: die Unverständlichkeit dieser Kunst für die Massen – als Entwicklung zu einer nur mehr komplex zu vermittelnden Elitekunst für die Tempel (Museen) der Elite. Er hat damit auch einen durchaus nachhaltigen  Aspekt der Realfunktion des Politisch-konservativen Mehrheit in der Moderne erkannt – das Populäre (vgl. Gramsci, nicht das Triviale) ist zu eliminieren. 

Das Zwanzigste Jahrhundert und seine Kunst 

Das Projekt der Progressiven-Moderne (eine Minderheit, wie gesagt  zu allen Zeiten!) sah sich in seiner explizit antikapitalistischen, humanistischen Strömung als Bremsblock im Prozess der „Zerstörung der Vernunft“ und deren faschistischen Tendenzen (so Georg Lukacs ). Diese Moderne beginnt mit der revolutionären Artikulation des Bürgertums und seiner kleinbürgerlichen Rebellen während der Französischen Revolution. Unterbrechungen bedingt durch die folgende Reaktion, Wiederaufnahme wenn auch zögerlich im Impressionismus und besonders während der Pariser Commune (Courbet). Ausgehend von der gebrochenen Romantik eines Delacroix oder Gericault und dem kritischen Realismus von Courbet, Daumier, Hogan, teilweise sogar Millet, über van Gogh bis zu Bacon, Lucian Freud oder Hrdlicka entwickelt sich das rebellisch, „revolutionäre“ Kunstverständnis, das mit dem Humanismus und den unterdrückten Schichten diese Welt verbunden ist. Bis heute gibt es trotz aller Behinderungen diese kritische Form des Realismus.

Das Projekt der Moderne bedeutet nicht nur den Anschluss an die extensive Romantik von Novalis, Schlegel, Kleist („Über das Marionettentheater“), Baudelaire, Lautreamont, sondern auch die Befreiung aus der Vormundschaft und Kontrolle durch die feudale Herrschaft und die deutschen Identitätsphilosophie des Idealismus, der Ästhetik Hegels und seiner Schüler.

Die Entwicklung der Moderne wurde auch wesentlich – was die Anzahl der involvierten KünstlerInnen betrifft - von den rechts-rebellischen und konservativen Intellektuellen betrieben, welche an  die „Befreiung“ des sogenannten ästhetisch Bösen, Verrufenen, Hässlichen, durch de Sade, Poe, fortgesetzt in der Zynismus des Dandyismus und Fin de Siecle mit der elitistischen Begeisterung für die Kriege Ende des 19 Jhdts, so Ernst Jünger , aber anfänglich auch Thomas Mann u.a, und vor allem den ersten Weltkrieg anknüpfte. Die Verklärung der Avantgarde zu Revolutionären der Kunst ist den wenigen humanistischen Künstlern der Epoche der sozialistischen Hoffnung von 1918 bis 1930  zu verdanken. In dieser Zeit haben  Surrealisten, wie Breton ,  Artaud, Bataille wesentliche Erfahrungen der ästhetischen Rebellion mitgetragen, mit der Vertreibung, Ermordung und stalinistischen Enttäuschung der überlebenden Intellektuellen in Europa blieb ab 1945 die Moderne stecken und wurde mit der Etablierung des Kunstmarktes der Gegenwartskunst und der Moderne als Postmoderne vermarktbar.

Die Erben der Romantik in unserem Jahrhundert haben zwar die giftigen Früchte der Verdrängung des Fleisches, des Zufalls, des Unbewussten, alles Unästhetischen sichtbar gemacht, das Ergebnis ist  im Sinne der hemmungslosen postfaschistischen ökonomischen Interessen die Produktion und massenhafte Vermarktung der perversen/verdinglichten Leidenschaften  (ca 800.000 SM-begeisterte in D, 2008, Spaßbrutalität, Kriegsbegeisterung. etc).

 

 

Das Kunst-System der Gegenwart besteht als spezifische Produktionssphäre der „Geistigen Produktion“ aus einem mittlerweile während des 20/21-ten Jahrhundert ausgeprägten und äußerst profitablen sozio-ökonomischen Regulationssystem, welches trotz seiner immanenten Krisenhaftigkeit seine inhärente Basis institutionell (Museen, Auktionshäuser, Messen, Märkte, Sammler, Fonds..) stabilisiert und seine Effekte globalisiert hat. Insoweit stimmt  eine Definition der Kunst : Kunst ist alles, was im Kunstmarkt Geltung erlangt und der Künstler ist in seiner Anerkennung davon abhängig (so ähnlich formuliert vom Manger des Damien Hirst).

Das Regulationssystem der Kunst ist neben den Patent- / Lizenzeigentum und dem Eigentum an den  Urheberrechten ein Vorreiter der Globalisierung des euroamerikanischen (geistigen) Kapitals. Die postmoderne Kunst hat die historische Rolle der katholischen Missionierung erfolgreich übernommen und effektiv ausgebaut.- sie ist ein profitabler Softfaktor  der ökonomischen Infrastruktur und damit der Marktaufschließung, Kapitaltransfers und Spekulation.

 

Die Postmoderne als „wahre“ Moderne

 

Parallel zur Entwicklung des kapitalistischen Systems als Weltsystem mit allen seinen historischen Entwicklungs-Stockungen und Krisen (Weltkriege, Faschismus und Revolutionen), trat in der Wissenschaft und in den allgemeinen Denkformen der Menschheit ein neues theoretisches Paradigma zutage, welches die alten Formen der Auffassung einer deterministischen Entwicklung (Entelechie) zu einem einheitlichen Ziel desavouierte. Die Entwicklung der Natur und deren Gesetze wurden unter Berücksichtigung der zeitlichen Lokalität und Relativität dieser Gesetze denkbar. Das Chaos wird integraler Bestandteil des Realen, der absolute Zufall (die Kontingenz) ergänzt den deterministischen relativen des alten Welt-Systems.

Die Quantenphysik mit ihren Paradoxa wird unter den Paradigmen der Chaostheorie als ein Spezialfall der a-historischen Gesetzesformulierung gesehen. Die Beziehung klassische Quantenphysik und chaostheoretische Quantenphysik stellt sich daher ähnlich der Lorenztransformation dar: von der Relativitätstheorie zurück zum klassischen Newton (so I. Prigogine).

In den Sozialwissenschaften, besonders in der politischen Ökonomie, hat schon Marx das Problem der Selbstreferentialität und relativen  Autopoiese des politökonomischen Systems bei aller revolutionärer und krisenhafter Einbindung in das Weltsystem formuliert- wenn auch mit anderen Worten (vgl. In der Verallgemeinerung meine Werttheorie). Vergleiche dazu auch : Kausalität als spezifische Abstraktion und lokale Geltung,  Althusser und strukturelle Kausalität, die aleatorische Kausalität (auch Hörz in der Naturwissenschaft) Dissipative , irreversieble Strukturen, die Geltung des chaos, attraktoren, autopoese und exopoese  und des Determinismus, Zeit , innere  Dynamik… Prognose.

Auch in der Kunst wird nach Bachtin spätestens mit Dostojewski, aber wahrscheinlich schon mit Sterne und Caroll die Polyzentrizität und Relativität der Stileinheit des Werkes eingeleitet. Nonsens und Sens, Zeitkonstruktionen der Relativität, das Vorbewußte, Gegenwärtiges und Vergangenes, das Denken und Fühlen. Vorallem auch der Zufall im künstlerischen  Arbeitsprozess... alle Dimensionen menschlichen Erlebens werden in ihrer ästhetischen Dimension Quelle und Ergebnis des künstlerischen Schaffens.

Die Künstler schaffen mit ihrem Produkt (Werk, Performance, Konzert…)  eine Sinnes- / Erkenntnismaschine für diejenigen Menschen, welche sich dieses Werkzeug je nach eigenen Fähigkeiten und ästhetischem Erlebnisfundus unterschiedlich bedienen / genießen können. 

Die Relation ist: Realität - ästhetische Bewertung der Realität - Konstruktion der künstlichen Realität auf Basis des Ästhetischen mit den spezifischen Mitteln der Immanenz des Kunst - Produktes (die Form).

Das Kunstwerk ist quasi eine Maschine. Es ist die Maschine der multiplen Persönlichkeit und daher der inneren mehrschichtigen Kommunikation im Rezipienten  fähig, in der einzigartigen Wirklichkeit des Menschen – als virtueller (die mit der Zukunft und Vergangenheit aufgeladenen Gegenwart – d.i. die aktualisierte Wertebene des Subjektes).

Je nach historischem Standpunkt, individueller Entwicklung und Vermögen realisieren die Künstler ihre Kunstmaschinen der Unterwerfung, Emanzipation, der weiblichen, der kindlichen, der religiösen, der ... Seinsweisen,  mit den Kunstmitteln der Immanenz, der Äußerlichkeit, des Dekors, der philosophischen Tiefe, der stofflichen Exzesse, der formalen Regellosigkeit bis zur strengen Privatsprache.

Die reflektierten Künstler sind sich Ihrer Wirkung und der Fähigkeiten ihrer Rezipientenklientele bewusst, spielen mit deren emotionell-intellektuellem Vermögen.

Je nach Mode der herrschenden Schichten werden die Künstler fürstlich entlohnt, erzielt man für deren Werke oft erst posthum exorbitante Preise, errichtet für sie Museen, Opern, Theater oder Statuen..

Die Sprache der Kunst ist eine höchst performative (beeinflusst unser Fühlen, Denken und folglich das Handeln), daher ist die Kunst in Krisenzeiten heiß umkämpft.

 

Wir leben in einer Zeit der Verallgemeinerung des Kapitalistischen Systems im Weltmaßstab, mit allen Problemen der Integration, des permanenten Umbaues des Systems ohne Ziel und ohne bestimmter Zukunft. Die reale Entwicklung wird mittels bewusster Einflussnahme (vorteilhafter privater Nutzung aller Entwicklungen und auch der Krisen bis zu Katastrophen) und  realer Zwänge innerhalb  gegebener  Rahmenbedingungen die sozialen Entwicklungsmöglichkeiten und Dynamiken selbstreferentiell und fremdreferentiell (Mensch/Natur-Einflüsse) bestimmen. Alle realen Entwicklungen (besser Geschichte der..) scheinen quasi als sozialer Automat unabhängig vom Menschen zu funktionieren - das ist jedoch dem falschen Schein, dieser ist der entfremdeten Erkenntnis geschuldet. Die Menschheit ist der Demiurg ihrer sozialen Entwicklung – es gibt keinen Freispruch, kein stellvertretendes entschuldendes Opfer.

 

Die Bildende Kunst als Kunst des Augenblickes ist die Essenz der Virtualität im konstruierten Augenblick des Bildes, die bildliche Bewertung des Realen  weist über die Vergangenheit und Gegenwart des Jetzt hinaus, setzt als Maschine im Rezipienten einen Bewertungsprozess des eigenen ästhetischen Erlebnisfundus ingang.

 

Demokratie und Kunst

 

Gegen die Tendenzen einer in den letzten 100 Jahren geforderten Demokratisierung der Elitekunst wurde eine neue Kommunikationsschiene ein gezogen, die das dringend benötigte Spender- und Sponsorenpublikum durch reservierte Besuchstermine, exklusive Veranstaltungen, Sammler-Soireen in Gegenwart von Künstlerprominenz usw. privilegiert, wodurch der gemeinsame Sockel von Kunst und Rezeption, die Dienstleistungen der Museen, neu hierarchisiert wurden. Die fortschrittliche, museologische Verabschiedung der Ära des publikumsfernen, kustodialen Museums trügt. Offensichtlich bleibt uns neben zugkräftigen Ausstellungsinszenierungen, den neuen Öffentlichkeiten der sich prostituierenden Muse und den Erlebnislandschaften der elektronischen Kommunikationsästhetik, eine Burg der „wahren“ Kunstkenner erhalten. Müssen wir die Refeudalisierung des Kunstgenusses in der Museumspolitik des 21. Jahrhunderts fürchten? 

Verwendete Literatur

Bildnachweis: Katalog mel contemporary 2008

 

H. Belting, Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren, München 1995.

C. Demand, Der böse Geist der Avantgarde, Wespennest 116

P. Gorsen, Was überlebt vom Projekt der Moderne ?, Wespennest 118

B. Groys, Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie, München u. Wien 1992.

M. Imdahl, Farbe. Kunsttheoretische Reflexionen in Frankreich, München 1987.

Daniel Henry (Kahnweiler), Der Weg zum Kubismus, München 1920

H. Klotz, Kunst im 20. Jahrhundert. Moderne, Postmoderne, Zweite Moderne, München 1994.

E. List, Floating Identities, Terminal Bodies, Argument 238

N. Luhmann, Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992

J. Meinhardt, Ende der Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei, in: Kunstforum, Bd. 131, Aug. - Okt. 1995.

H. Platschek, Die Zeit ist ein gieriger Spieler, Hamburg 1999

W.Spies, Kunstgeschichten, Köln 1998

P. Weibel, Probleme der Moderne - Für eine Zweite Moderne, in: H. Klotz (Hg.), Die Zweite Moderne. Eine Diagnose der Kunst der Gegenwart, München 1996.

engländer

 

 

 

Gedanken zu  einer Kunstgliederung im 20. Jhdt 

Nach ideologischem Gesichtspunkt :

 

Herrschafts- / Kapitalismuskritisch : Links : anarchistisch, revolutionär, reformatorisch

                                 Rechts:  rebellisch, anarchistisch, reaktionär, faschistisch

 

Herrschafts- / Kapitalismusaffirmativ : reformatorisch („sozial“staatlich : Mindeststandards, New Deal..)

                                                           Liberalistisch (privatistisch, individualistisch..)

                                                           Reaktionär (organizistisch…Ständestaat)

 

Kult und Kunst-System:

historisches Entstehen der Kunst/ Kunsthandwerk im Zusammenhang mit den Kulten; Kunst-System hat jeweils den Werkzeugcharakter zur Zweckerzielung bei den Teilnehmern/Rezipienten im Rahmen ihrer jeweiligen kultlichen Kollektivität , ist das Mittel / Formen der Praxis : Gesang, Musik, Tanz, Bild, Text, Rauschmittel, Performance... ; Begleitend nicht Zweck und Ziel: Begeisterung, Freude, Emotionen, Karthasis, Leid, Überlegungen, Erkenntnisse, Hysterie, Glauben, Suggestion..., je nach Art und Intention (keine Reflexionen ursprünglich notwendig) der Kulte:

 

            magische

            religiöse

            politische

            persönliche (Prestige: NAGA)

            herrschaftliche (geschlechtlich, soziale)

                        urgesellschaften

                        sklavenhalter

                        feudalismus :  Beginn der Teilung in Kunstgewerbe / Design … Kunst-System

                        kapitalismus: Teilung in Design/Werbung   und Künste (klassenspezifisch und Arten)

                                   bürgerlich (Inhalt wird in Reflex ausgeblendet , da nur 1 Klasse sich artikuliert)

                                   oligarchisch

                                   faschistischen

                                   systemisch                 

                        sozialistischen ( Inhaltliche Kunsttheorie da unterschiedliche Klassen unterschiedliche                                          Inhalte und Formen artikulieren)

                                   personell

                                   klassenstereotyp

                                   systemisch

 

Viele Aspekte damit darstellbar: die Entwicklung bis zur Ware (verselbständigung der Objekte, Handlungen.. zur Marktaufschließung mit der historischen Marktentwicklung) im Kult (heute), die unterschiedlichen Funktionen : kollektiv magisch, kollektiv instruierend, kollektiv beherrschend, kollektiv unterwefend, klassenprestige, herrscherprestige, suggestiv beeinflussend. In der Kultfunktion Bestimmung des Mythos, Fetisch, Symbolischen.  

Die Trennung der inszenierten Form im Design und Übernahme von ursprünglichen Kunst-handwerk und Kunstfunktionen: Prestige, Formfunktionalität, Schönheit, ... 

Heutige internationale Entwicklung des Kunstkultes durch Staaten (Finanzierung und Zwang) und Kapitalien (zivile Teilung in Klassen)

 Institutionalisierung der :

            Märkte (Messen, Preise, Förderungen)

            Ideologen (Wissenschaft, Kritiker...)

            Präsentationen (Museen, Sammlungen, Medien, Unterricht, ..)

            Urheberrechte (Wert/Preis-Recht)

            Ausbildung (UNIS, Werkstätten..)

            Förderungen durch Steuersysteme / ökonomische Darstellung (Transfer, Bewertung...)

            Prestige im Staatssystem (nationale Objekte, Künstler..)

 

            Trennung Massen-“Kunst“ und KUNST  (Beide mittlerweile gigantische Märkte)

 

Diskussion diverser ästhetischer Theoretiker im historischen Kultfunktions-Rahmen: 

Baumgarten, Lessing, Kant, Schiller, Schelling, Hegel, Rosenkranz, Baudelaire, Schopenhauer, Nietzsche, Fechner, Lipps, Croce, Ingarden, Heideger, Lukacs, Benjamin, Adorno, Freud, Dewey, Goodman, Danto, Barthes, Derrida, Virilio, Baudrilliard, Kagan, Klossowsky, Bachtin, P.Tolstoij..)

 

FUNKTIONSLOSE KUNST ist das un-mögliche Extrem der Funktionsverdünnung der La pour la Kunst, keine Frage von figurativ oder abstrakt .

 

Gibt es eine Weiterentwicklung von der Funktion des  Kunstwerkes als ästhetische Erlebnis-Werkzeug zur Maschine (zb.: Film, Video..) und zum Automaten (Virtuelle Erlebniswelt mit Sinnestäuschung)?

 

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8. März 2013 5 08 /03 /März /2013 20:08

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"... meine ästhetische Tätigkeit liegt nicht in der speziellen Tätig­keit als Autor und Künstler,

son­dern im ein­zigen Leben, das nicht frei von nicht-ästhetischen Mo­menten und nicht

diffe­renziert gegenüber diesen ist, das in synkreti­sti­scher Weise gleich­sam den Keim

des schöpferi­schen plasti­schen Abbilds in sich birgt ..."

                                                    M. Bachtin: Autor und Held

 

"...denn dies ist ja das Wesen der Zeit, daß wir uns fort­wäh­rend ent­werfen, aus den

Augen ver­lieren, auf neue Art wieder­finden ..."

                                     P. Weiss: Ästhetik des Wider­stands

 

"Als Maler reflektiere ich, was geschieht, um diese Resonanz in etwas Übergeordnetes zu überführen."

Juergen Messensee

 

"Weder ist es also die physikalische Wirklichkeit eines äußeren in dieser Wirklichkeit sich wiederfindenden Bildes, noch ein inneres sich aus dem Erinnern oder aus der Vorstellung ableitendes Bild, das zum Anlass genommen wird, nein: es ist ein Geschehen, das Jürgen Messensee als Vorlage dient. Das muss nicht heißen, dass es sich um einen visuell wahrnehmbaren Vorgang handelt."

Werner Wolf

 

 

 

Das Rot des KATAMARANS erregt, dupliziert die Formen der Leidenschaft in den sattroten  weiblichen Segmenten.

Die Spektralverschiebung im Rot relativiert und verkoppelt die Intensitätsdifferenzen  des Begehrens von Augenbrauen, Mundhöhle, Brüsten, Nabel, Schamhaar und Zweikörperrand.

Wo ist der Kopf?

Der organlose Körper ist befreit!

Ein blaues Auge zeigt unser erotisiertes Schauen, starr wie das Aug’ der Medusen, entkleidet jeder Symbolik, ein Werkzeug für das Obszöne der Wahrnehmung und der Imagination der Rezipienten.

Sadismus des Blaus, fein quälend die geschundene Sucht.

Masochismus im Rot des nicht beißenden Mundes, lockende und verweigernde Geste der Lust renaissancegequälter Madonnen.

Verschoben, verschachtelt, verbogen, gerissen das Papier in charakteristischer Form des sich verweigernden Begehrens.

Wie Lacan in seinem Leiden am Versagen der letztlichen  Erfüllung. Die Verletzung, die Unsagbarkeit, die symbolische Kastration der Geschlechter in deren Begegnung.

 

Die „Netzhautmalerei“, das heißt die Objektproduktion der Maler für den „geschmäcklerischen“ Genuss, welche seit dem Impressionismus über  Picasso bis heute mit Recht verpönt ist, ist aber  im Akademismus der Postmodernen  (vgl. Adorno „Über das Altern der Neuen Musik“)  die weit verbreitete  Methode der Kunstproduktion.

Dagegen war vor fast einem Jahrhundert : Das Grosse Glas Duchamp’s  („Die Braut von ihren Junggesellen entblösst, sogar“ ....), das 1923 entgültig unvollendet ausgestellt wurde, der  kritische Bruch mit der gängigen Kunstauffassung, welcher bildlich realisiert wurde.

Jürgen Messensee stellt sich dieser Kritiktradition der bildenden Kunst: Denken und Erleben ist kontrastreich künstlerisch zu verbinden.

Die INTENSITÄT, als Hauptkriterium des messenseeischen Gelingens, hat ihren historischen Bezug vorallem  bei Van Gogh, der innovative Umgang mit Raum und Farbe  hat seine  Quelle bei Cezanne.

Jürgen Messensee`s Innovation zeigt sich in der Verlangsamung, der stringenten Verdichtung, der Ballung der sinnlichen Energien, der besonderen Messenseeischen Intensität, dem Suchen und Finden der Momente des sinnlich Intensiven (Bataille), den Wegen des Aufspüren’s der Energieflüsse und deren Stockungen, deren tausend Plateaus und dies alles simultan im transgredienten Subjekt (Bachtin) dargestellt, im Bildobjekt  strukturierter komplexer Texturen. 

Jürgen Messensee’s  Werk/Artikulation ist die ironische (gebrochen im Sinne der Romantik) Kritik der Malerei von der Renaissance bis heute, als Malerei, welche die intelligenten Ideen und deren sinnlichen Genuss in der kalkuliert haptischen Intuition der Produktion über die Farbe und den Stift zum Ziel hat.

 

Radikal- im Gegensatz zu opportunistischen Rezipientenideologien-  vermittelt Jürgen Messensee, dass der Künstler das Bild schafft, welches der Rezipient je nach Fähigkeit mehr oder minder in der Lage ist  zu erleben/zu erkennen. Messensee versucht Kunst und Leben, Werk und Rezipient nicht zu versöhnen.

 

Jürgen Messensee, ein Maler der Moderne im postmodernen Zeitalter (das ist die Zeit,in der die Moderne reflektierbar wurde), arbeitet  am Simulacrum, dem Kunstwerk, welches als Erlebnismaschine der Sinnesvorstellungen der Rezipienten derart funktioniert, dass sie den Rezipienten nötigt selbst Künstler zu werden: seinen ästhetisch-künstlerischen Wertefundus kritisch im Erleben des Werkes zu reflektieren. (Der Künstler ist der erste/strengste Rezipient. Die Wirkung des Werkes entscheidet über den Kunstwert- nicht die Bilder oder Erlebnisse des Künstlers in irgend einem unvermittelten Sinn)

 

Jürgen Messensee  erzeugt mit seinem Werk  eine Wahrnehmungs-/Erkenntnismaschine, welche mit der aktiven/reflektierten oder „passiv“/genießenden Haltung der Kunstkonsumenten via deren persönlichen Wertefundus und Vorstellungsvermögen (besser: Sinnes&Verstandesvermögen wie Form- und Farbsehen) eine neue virtuelle Erlebnisrealität im Subjekt schafft.

 

Sex und Erotik als Lustbenzin der Kunstmaschine, erstmals im Grossen Glas Duchamps realisiert, wirken nach Klossowski (vgl. Den Aufsatz „Lebendige Münze“)als Kapital (gesellschaftlicher Automat) der Emotionen, welchesder Kunst die Energie liefert und diese Energie über das arbeitende Subjekt in die Ökonomie speist.

 

Die Bildsprache Jürgen Messensee’s zeigt ihren Entstehungsprozess als Spur voller Intensität. Diese Intensität ist geboren aus dem unlösbaren Widerspruch  des Indivdualausdrucks gegen dessen Gesellschaftlichkeit, welchen er  in der Darstellung  nicht zu überwinden sucht.

Der Widerspuch von Vorstellung und Denken findet seine Form in den spezifisch persönlichen Emanationen der Bildsprache Jürgen Messensee’s, welche ihre Quelle in der permanenten Abwehr gegen das Eindringen und Einsickern der gesellschaftlich gegebenen Klischees,  Konventionen und Kunstverfahren hat.

Jürgen Messensee gewinnt die Freiheit der Form in der unvollendeten Durchquerung des persönlichen Fundamentalfantasmas (die Intensität des Begehrens im Unverständnis des Weiblichen), dem wiederholten, sich selbst nuancierenden Anlaufen an das Fantasma.

Ergebnis der intensivsten Anstrengungen ist die optische Partialisierung der symbolischen Organe und deren Projektion auf den organlosen Körper (Guattari/Deleuze).

Lippen, Augen, Finger, Brüste, Arme, Beine, Hände, Schenkel, Anus, Vulva, die Patialobjekte und deren Rekombinationen am Gesamtkörper, verdoppelte Körper, die Katamarane, Zähne, Mund und Münder.

Das Begehren, realisiert in den Beziehungen der Partialobjekte entlang der Bindungen der Intensität, wird mittels der sinnlichen Überdeterminierung der Farben, der räumlichen und stofflichen Faltungen und Fraktale, in Messensees Bildern zum Willen zur Lust.

Farben Rot, Blau in allen Differenzierungen bevorzugt, schwer zu beschreiben, da in deren Differenzierung dem visuellen Erleben ausschließlich zugehörig, verbunden der Faltung nach Deleuze, der Reflexion und damit dem Barock der selbstähnlichen Differenzierungen und Asymetrien.

 

Charakteristisch für moderne Genialität ist die Rück- und Einbindung des Schaffensumfeldes der Kunst, inklusive der kunstgeschichtlichen Höhepunkte in die praktische Dekonstruktion des Schaffensprozesses. Die Raum- und Material“gegebenheiten“ werden ganz im Sinne unseres postmodernen Paradigmenwechsels durch Messensee dekonstruiert und simultan konstruktivistisch reformuliert und über die Funktionsstrecke Werk-Rezipient-Gesellschaft-Künstler an die Realität rückgebunden, bar allen Solipsismusses.

Die persönliche Lexikalik und Semantik der Bildsprache Messensees, deren Farben, deren Ikonografie, deren Darstellung des Objektivierungsprozesses, zeigen die Elemente der Spaltung des gesellschaftlich deformierten Materials im Außen, in deren innerer Präsenz, wo die räumliche Darstellungsdimension und deren Effekte in den Intensitätsbeziehungen aller anderen malerischen Dimensionen zum Ausdruck zu kommen. Multiple, unvorstellbare Zeit-Räume - wie in der modernen Physik- werden relativistisch durch deren immense Intensitätsmasse.

Das offen kritische System der Kunst Jürgen Messensee’s mit seiner selbststabilisierenden Rückbindung im Realitätsbezug, zeigt ihn als politischen Maler, der  das intensive Individuum gegen das System der Vermassung setzt, der den Wahrheitsanspruch, die Verabsolutierung des Eigenen nicht aufgibt und das Entsetzen in der emotionalen Sichtung der Spaltung des Individuums spannungsgeladen zeigt.

"Virtueller Realismus" bedeutet die Aufnahme der modernen Raum-Zeitauffassungen in die Kunst, unvorstellbar im euklidischen Sinn  der starren Räume. Unvorstellbar auch die Metaphern der modernen Physik,  die ridged rooms, bootstraps, inflationären Welten und die Massedeformationen in der Zeit der räumlichen Existenz.

Der Raum der Psyche, der Emotionen, der bewerteten Partialobjekte ist entsprechend seiner virtuellen Struktur (seine Existenz in Vergangenheit und Zukunft, damit Leben und Tod) an das Entsetzen des Chaotischen, der Abgründe der Realität gekoppelt. Daher mit Adorno:  "Kunst heißt Chaos in die Ordnung tragen".

Das Ausloten der Wirkungsweise der optischen Objekte auf den Künstler und die Rezipienten, deren Partialisierung, deren Befreiung vom  herkömmlichen Kontext, deren optische Intensivierung, deren Rekombinationswirkung, die neuen Räume, das neue besondere Sehen, die Destruktion der Konventionen  der Produktion, die Störung des Basismaterials - der „Malfläche“- das führt Jürgen Messensee zu neuem Sinn aus dem Nonsense des Realen.portrait-Kopie-1.jpgP1070369.JPG

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6. März 2013 3 06 /03 /März /2013 13:39

Die Auslöschung des Makels

Zu Gerhard Aba´s Strategie der Auslöschung des Makels

 

      portrait.jpgmonalisa.jpg

Das Authentische im Realen ist uns nicht unmittelbar gegeben – es ist uns verstellt. Wahre Abbilder des Realen kann es gerade durch die Fotografie nicht geben - das scheinbar absolut Authentische ist auch hier das Unauthentische. Denn: alle Stellvertretung des Realen ist Auslöschung der Authentizität und alle Auslöschung ist Schrift. Die Schrift erweist sich als Zerstörung des Authentischen, andererseits gibt sie vom Authentischen fragmentarisch Kunde. Die Differenz zwischen Schrift (Foto) und Authentischem lässt eine völlige Wiederherstellung der Präsenz nicht zu, „ am Anfang leitet sie die Entfremdung ein, am Ende gelingt ihr die Wiederaneignung nur bruchstückhaft“ (Derrida, Grammatologie S. 247) Als Folge der „differance“ wird die Wiederaneignung der Präsenz von einem Stellvertreter zum anderen geschoben, Eine Kette von Stellvertretern entsteht. Das Eigentliche wird immer nur angedeutet ohne jemals ganz präsent zu sein. (vgl. auch Gernot Weiß, Die Auslöschung der Philosophie, Philosophiekritik bei Thomas Bernhard, 1993)

Die Bilder in ihrer Referenz, Stellvertreter des Realen evozieren Lust/Horror an der verbotenen Zerstörung der Symmetrie des Ideals. Das Körperimage des „Normalen“ entspricht der unbeschädigten Ästhetik der Waren des Supermarktes. Alles ist ganz, neu und frisch – es glänzt. Die Warenästhetik durch die Einübungen des persönlichen Körperdesigns zum wahren Bedürfnis geworden, verweigert den Blick auf das Authentische in der Fülle ihrer stellvertretenden Bilder und Signifikanten. Der verletzten Körper sind jedoch auf dieser Welt - schon immer. Sie sind ausgeschlossen aus der Traumwelt des Realen - verbannt in das Theater der Welt, in die Stellvertreter des Realen eingeschrieben - das ist die Schrift der Bilder. Die Grammatik des Verdrängten- des Unbewussten- als Schrift der Entfremdung, des Kampfes um die Wideraneignung des Authentischen , wenn auch in seiner Partialität. Bedeutend ist daher in der Serie der Fotografien und Bilder des „Makels“ (vgl. den Film „Der Charme des Makels“; Aba, Palank, Teufel 2006) die gezeigte Grammatik der Wiederaneignung durch Aba und uns. Das Eigentliche ist nicht zu fassen, es verschiebt sich von Stellvertreter zu Stellvertreter (Bild zu Bild). Ist es das Entsetzen? die Angst? die Grausamkeit des Realen und Einzigartigen? unser Voyeurismus? oder die Transzendenzlosigkeit der Verletzung?, die damit verbundenen Lüste des Perversen (Grenzüberschreitungslust)?,…oder , oder..?

Frauenkörper treten erst durch die Zuschreibungen der erotischen Schönheit im Partiellen, mittels Definition der Teile des Körpers als Lustobjekte, ins männliche Gesichtsfeld. Dagegen erscheint die weibliche Sicht – wenn nicht zerstört, dann als Reflex auf die männlichen Definitionen des Imaginären. Aba zeigt das Fehlende nicht, er zeigt die Auslöschung des Fehlenden, die Erotik des gelöschten Makels. Die erotisierende Attitude von Aba´s Inszenierungen der Weiblichkeit hebt den fehlenden Teil als erotische Besonderheit hervor, die symbolische Kastration als Zentrum der Lustdynamik - um mit Lacan zu schreiben. Auch hier gilt die Derridasche Sicht der Verdeckung im Schriftlichen. Das Hirn (speziell das männliche) der Rezipienten ersetzt die Makel mit lustvollem Aufwand. Der Bezug zur generellen Deformation der Körper in der Modernen und Postmodernen ist gegeben, das ist Aba`s Analogie zur Art Brut. Die Wirkung der bruchstückhaften Präsenz des Makels im Makellosen ergibt sich aus dem unlösbaren Widerspruch zwischen dem unglaubwürdigen, aber wirkenden verklärten Ideal des Realen und dessen realer verdrängter Grausamkeit in seiner Einzigartigkeit. Eine zutiefst abendländisch christliche Sicht der Welt, wird über die Grammatik der Bilder Aba’s und unsere Einschreibungen reflektier- und kritisierbar.  

Meine Hypothese ist, dass die Kunst mit der Entwicklung ihrer ästhetischen Kategorien (Werturteile) und ihrer Praxis unsere Ideale und damit Verhaltensformen, unser Vorstellungs- und Urteilsvermögen wesentlich formte und formt. Durch die Kulturkritik in seinen Bildern versucht Aba uns aus der Ideolatrie/Idealotrie des abendländischen Kunstverständnisses zu befreien. Dieses gestaltete seit der Renaissance mit Referenz auf die griechische Idealisierung die göttlichen Szenerien des Christentums – und damit, über deren Profanierung, wesentlich unser ästhetisches Wertesystem der unversehrten Körper: Man stelle sich Jesus einbeinig vor oder Maria ohne Arme und Beine ….

Lacan spricht von einem „Realen ohne jede mögliche Vermittlung, des letzten Realen, des wesentlichen Objekts, das kein Objekt mehr ist, sondern jenes Etwas, angesichts dessen alle Worte aufhören und sämtliche Kategorien scheitern, das Angstobjekt par excellence.“  (Lacan, Das Seminar. Buch II (1954–1955): Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse. Olten/Freiburg 1980)

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2. Oktober 2012 2 02 /10 /Oktober /2012 15:55

1

Rede zum Buch:

„Arbeitswelten in Bild und Wort“,

von Reinhold Sturm. September 2012

Transkribiert, ergänzt und lesbar geordnet von Werner Lang, 2012

 

Einleitung

Nach 1945 wurde die Arbeit, durch die Notwendigkeit des

„Wiederaufbaus“, gegenüber den Krisenjahren in der

Zwischenkriegszeit wieder aufgewertet. Unter anderem wurde sie

dabei auch romantisch dargestellt. („Wir bauen für die Zukunft“; also

Wiederaufbau als Aufopferung für eine bessere Gesellschaft.) In den

70er Jahren ist eine neue Art der Aufwertung der Arbeit festzustellen.

Die Kunst- und Kulturschaffenden entdeckten die „Arbeiterklasse“.

(Joseph Beuys: Prolet als revolutionäres Subjekt). Diese Entdeckung

trug in der Literatur zu einer Romantisierung der Arbeitswelt bei. Das

führte auch zu den verschiedensten theoretischen Begründungen für

eine neue „Arbeiterliteratur“. In Österreich ist Michael Scharang

(Charly Traktor) und all die Folgen zu nennen. (Gesellschaftskritik).

Es war der Versuch von Scharang, der von ähnlichen

Zielvorstellungen geleitet wie Erika Runge mit den Bottroper

Protokollen ausging, darauf Bedacht zu sein, reale Verhältnisse, die

schwer durchschaubar sind, von denen der Allgemeinheit ein falsches

Bild gemacht wird oder die überhaupt der allgemeinen Erfahrung

durch Manipulation vorenthalten werden, der allgemeinen Erfahrung

zuzuführen, wobei sich die literarische >Methode einerseits aus der

Struktur jener Verhältnisse< ergibt, die der Autor darstellen will,

>andererseits aus seiner Absicht, sie erfahrbar zu machen<. (Michael

Scharang, „Einer muss immer parieren“, Dokumentationen von

Arbeitern über Arbeiter, Luchterhand Verlag, 1973)

Ich habe auch den Literaten Eugen Bartmer kennengelernt. Er war wie

Werner Lang ein Arbeiter. Er schreibt aber eine andere Literatur als

z.B. ein Werner Lang oder ein Michael Scharang. Zur Ergänzung:

Scharang kommt aus einer Arbeiterfamilie, ist aber selbst kein

Arbeiter gewesen.

Auf diese Unterschiede kommt es mir aber nicht an.

Auf was es ankommt, das ist, dass Werner Lang, um den es hier

letztendlich geht, eine sehr ungewöhnliche Literatur schreibt.

Er leiht, gibt, gestaltet, wie man es auch immer formuliert, einer sehr

ungewöhnliche Dimension unseres Lebens sein Wort, dieser wollen

wir mithilfe seines Buches auf der Spur bleiben. Weil auch seine

Bilder zu den Texten hier ausgestellt sind, können wir auch von Kunst

sprechen. Wobei ich vorerst den Begriff Kunst nicht unbedingt

bemühen will. Ich will nur hinzufügen, dass der Kunstbegriff, der in

den 70er Jahren zu einer Romantisierung der Arbeiterliteratur beitrug,

in den 80er Jahren, durch die Überproduktionskrise und die darauf

folgende Automatisierung und Individualisierung des

Arbeitsprozesses, wieder abgewertet, und mit dem Geniebegriff in der

Kunst überwunden wurde. (Marcel Reich Ranicki sinngemäß: Alle,

die nicht schreiben können, geben sich als „Literaten der Arbeitswelt“

aus.) Ich weiß mittlerweile, dass diese romantische,

ökonomiegestützte Ideologie, überbewertet wurde. Hinzufügend, was

die Kategorie des Geniebegriffs betrifft, möchte ich noch hinweisen,

dass es nicht nur mit den Fähigkeiten des Künstlers etwas zu tun hat;

sondern auch mit seinen Vermarktungsfähigkeiten und damit auch mit

den Preisen, die erzielbar sind. Ob es sich jetzt um Künstler in der

bildenden Kunst, in der Musik, Bildhauerei usw. usf. handelt, das ist

mittlerweile vollkommen unerheblich. Es zählt, was der Markt

belohnt. Das ist das neue Genie, kann man sagen. Alles andere ist

jenseits des Geniebegriffs. Manche fragen sich ja gar nicht mehr, ob

sie Kunst machen, sondern es geht ihnen um die genannte Bewertung

ihrer Tätigkeit als Künstler. Es geht ihnen um den künstlerischen

Ausdruck, wenn sie das verwenden wollen. Wenn man im

Kunstsystem ist, dann ist man Künstler.

Aus dem ökonomischen Begriff abgeleitet heißt das: Wenn man Kunst

macht, ist man zwangsweise Künstler, weil man ja so gehandelt wird,

so instrumentalisiert wird, als solcher bekannt wird, als solcher so sein

Geld bekommt, usw. usf. Und in jedem System, das ökonomisiert ist,

gibt es die ganz oben mit den Milliarden und die unten mit nur ein bar

Cent, Euro usw. Und dann gibt es die, die nicht dabei sind, die aber im

Großen und Ganzen Ununterscheidbares machen. Diese Beiträge

werden im allgemein mit dem Ausdruck Graukunst bezeichnet. Dabei

handelt es sich um künstlerische Beiträge, die in der Kunst nicht

vorkommen.

Werner Lang beschäftigt sich überhaupt mit einem Thema, das 

im Kunstsystem nicht vorkommt: Das sind die Leiden der Arbeitswelt.

Werner Lang schreibt von den Leiden der Arbeitswelt. Er ist wirklich

Arbeiter gewesen – jahrzehntelang –, er machte Schichtarbeit, bekam

Schmutz-Erschwernis-Gefahrenzulage, bis er, nach seinem

Arbeitsunfall, in die Frühpension gehen musste. Er hat immer schon

diese Welt, in der er lebte und die er auch leidvoll erlebte,

unterschiedlich beschrieben. Man kann sie als Artikel in

Betriebszeitungen, und auch als Literatur, wie sie im engeren Sinne

verstanden wird, in Zeitschriften und Büchern nachlesen. Die eine

Dimension in seiner Literatur ist die schwere Arbeit. Wer jemals

längere Zeit in einer Fabrik gearbeitet hat, wer in einer Verzinkerei

gearbeitet hat - das habe ich am Ende meiner Mittelschulzeit bis Ende

meiner Studienzeit hin und wieder gemacht - oder in einem Metall

verarbeitenden Betrieb gearbeitet hat, der weiß, dass die Arbeit in

diesen Betrieben (Akkordsysteme usw.) ein Tempo hat, das körperlich

erschöpft. (Erschwerniszulage). Ungeachtet von diesen körperlichen

Anstrengungen gibt es Gefahren am Arbeitsplatz, die nicht im

alltäglichen Leben vorkommen, aber jeder, der in diesem

Gefahrenbereich in den Betrieben arbeitet, ist diesem auch gleichzeitig

ausgesetzt. (Gefahrenzulage). Ich z. B. habe mich öfters in der

Verzinkerei durch Spritzer, die durch das Einsenken von Blechen in

das Säurebad entstanden sind, verbrannt. Durch die Schichtarbeit lässt

die Konzentration nach und man wird schlampert. Früher hat man

auch noch, um sich die Arbeit scheinbar zu erleichtern, dabei gesoffen

usw. Das ist heute nicht mehr so. Die Arbeitswelt hat sich massiv

verändert. Es gibt ja auch ein massives körperliches Leid, das nicht

artikulationsfähig ist. Man liest es nicht in der Zeitung. Man sieht

keinen Film darüber. Es kommt auch nicht in der Literatur vor. Auch

in der heutigen, rar gewordenen Arbeiterliteratur kommt im

Wesentlichen, wenn man z. B. die Zeitschrift „Literatur der

Arbeitswelt“ durchliest, das Arbeitsleid als Leid nicht vor. Sie

schreiben alle über die Arbeit, aber sie schreiben eigentlich nicht über

das Leid, weil das so unangenehm ist. Eine Dimension des Leides, das

bei Werner Lang vorkommt, habe ich schon beschrieben. Ich habe

auch noch ein paar andere Leidsysteme aus dem Buch von Werner

Lang entwickelt. Ich werde später noch darauf eingehen.

(Textausschnitt: Seit einem Jahr sitzt er (Stramm) immer alleine in der Ecke und

isst. Früher saß Dodo bei ihm. Stramm denkt noch manchmal an ihn: Mitten

unter der Arbeit fiel Dodo um und war tot. Gehirnschlag, stellte man später fest.

Er hätte nur mehr ein paar Tage zu arbeiten gehabt. Denn eine Woche davor

wurde er gekündigt. Zu oft im Krankenstand, war die Begründung. Einmal

erzählte Dodo, dass sein Arzt ihm gesagt hat: Wenn du stirbst, bist du selber

schuld – man geht nicht krank arbeiten. Manchmal krampften sich seine Hände

minutenlang zusammen. Wenn er sich bückte, konnte er sich nur mehr unter

Schmerzen aufrichten. Wie wohl sein richtiger Name war? Alle sagten zu ihm

„Dodo“. Ich glaube, umso schlechter du behandelt wirst, desto verkommener

bist du.

Dodo ist tot. Stramm lebt. Das steht fest.)

In den 1970er Jahren, als man die Arbeiterliteratur in ihrer Theorie

weiterentwickelte, hat man diese Literatur von oben oder von außen

betrachtet. Da ging es um zwischenmenschliche Beziehungen, die

durchaus eine Rolle spielten, aber man sah die Arbeitswelt nicht aus

der Deformation heraus. Das Problem ist ja, dass das sehr

unangenehm ist, was da der Werner Lang als zweite

Leidensgeschichte der Arbeiter beschreibt. Es ist der Verrat der

Arbeitervertreter. Das kommt in seinem Buch auch vor. Hier geht es

darum, dass man bei allen Bemühungen und Kämpfen, die man als

Arbeiter in der Fabrik halt hat, der Betriebsrat auch im Namen der

Gewerkschaft zur Aufrechterhaltung des Produktionsprozesses

eingesetzt wurde. (Arbeitsdisziplin) Laut Gewerkschaftsführung soll

ja der Arbeiter durch die Sozialpartnerschaft erfolgreich in das

Gesellschaftssystem integriert worden sein. (Daraus folgt:

Verantwortung übernehmen) Z. B. In den 50er Jahren, als es noch

Hungerstreiks gab, wurde behauptet: In einem verstaatlichten Betrieb

schadet sich der Arbeiter selbst, wenn er streikt. (U.a. nachzulesen bei:

Otto Hwaletz; Böhlau Verlag; 1991). Die Leute wehrten sich aber

trotzdem. Nicht nur, weil in den verstaatlichten Betrieben die Arbeiter

unmenschlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt waren, (Schichtarbeit,

Schwerarbeit, Akkordarbeit, usw.) und nach der Privatisierung die

Verschlechterungen am Einkommen der Lohnarbeiter seit 1980

spürbar und auch sichtbar zunahmen, sondern auch darum, weil der

Arbeiter in den Produktionsprozess einfach hineingestellt und diesem

angepasst wird. (Callcenter). Ich war Betriebsrat in meiner Firma und

beim Kunden Organisator für Automatisationsprozesse in

Industriebetrieben und der Verwaltung. Ich kenne die Arbeitsprozesse

ziemlich genau, aber es gilt für den Organisator der

Abstraktionsansatz. Z. B. wenn man das, was man sich anschaut, neu

oder effektiver organisiert, dann macht man sich nicht dreckig dabei,

man leidet auch nicht darunter; sondern man denkt darüber nur nach

und stellt die Menschen, - jetzt kommen wir zu einem anderen Leiden

– nur wie Schachfiguren in den Produktionsprozess, und schaut dabei,

dass das Ganze funktioniert. Das ist ein drittes Leid, das man als

Arbeiter erleidet, das ist das entfremdende Leid. Wir können es als

permanente Fremdbestimmung bezeichnen. Z. B. wenn man zu den

Stoppern oder zur Zeit-REFA Partie gehört, wenn man diese

Organisationsmethoden anwendet, dann ist der Arbeiter immer nur ein

passives Anhängsel in dieser ganzen Prozess- und Erlebniskette, und

daher kann er sich als ein Opfer bezeichnen. Natürlich erkennt der

Arbeiter, der in diesem System steckt das auch nicht mehr. Es wird ja

auch teilweise schon in Gruppen reorganisiert. („Produktion ist

typischerweise betriebsförmig als System organisiert. Die einzelnen

Arbeitsfunktionen sind durch Plan festgelegt. Die Arbeit erfolgt also

nicht als „freie Selbsttätigkeit“, sondern als möglichst exakter Vollzug

vor- und fremdgeplanter Funktionen.“ Freyer 1960, S. 307)

(Krankenschwester im Krankenhaus Linz, Werkstatt Blatt Interview

mit Gabi Spiegl Auszug: Aktuell haben wir das Projekt VIB: Venflon,

Injektion und Blutabnahme. Eine Praktikantin läuft ständig mit einer

Stoppuhr herum: Ziel ist es herauszufinden, ob diese Umschichtung

ohne Personalaufstockung möglich ist.). In einer modernen

Organisation, mit einem kontinuierlichen Verbesserungswesen und

moderner Arbeitsorganisation und technischer EDV-Unterstützung

des Arbeitsprozesses, geht man, als Lohnarbeiter darin, für die

meistens nicht mehr greifbaren oder erkennbaren Eigentümer des

Betriebes, unter oder auf. Die rein militante und streng hierarchische

Organisiertheit, die in den 70er- 80er Jahren noch typisch war, ist

heute untypisch für die flexible Fertigung. Was heute neu ist, oder

umgekehrt, was seinerzeit noch auf alle Fälle vorhanden war, das ist

der enorme Dreck, der in der Fabrik herrschte. (Schmutzzulage).

Heute kann man in den Fertigungsfabriken sprichwörtlich auf dem

Boden essen. Bei BMW, Steyr z. B. gibt es keine Ölverschmutzung

oder Dreck mehr. Da können die Leute mit einem weißen Mantel

arbeiten. Das hängt damit zusammen, dass durch die Qualitätszentren,

z. B. das 0 Fehler Thema aufgebracht wurde. Das erfordert eine ganz

andere Herangehensweise und Disziplinierung des Arbeiters. Das

heißt, was auch noch ein Leid ist, das ist dieser gigantische Zwang zur

Selbstdisziplinierung. Früher, wenn man in „da Hocken“ war, hat man

Zeit zur Erholung herausschinden können, indem man eine kleine

Betrügerei machte und vielleicht einmal die Maschine zum Stillstand

brachte, irgendein Werkzeug abriss oder was auch immer. Das hat

einem geholfen. So etwas kann man heute nicht mehr machen. Wenn

man das heute in der Fabrik, in der man rundherum beobachtet wird,

macht, wird das sofort geahndet. Der Whistleblower wird das dem

nächsten Meister, Vorarbeitertypen, Manager, Mittelmanagertypus,

oder wie man sie auch immer neu umbenennt, mitteilen, dass da

irgendwer einen Scheiß gebaut hat. Es ist ja auch nicht immer so

gewesen. Es gibt viele Dimensionen eines Prozesses, die in einer

Anzahl vorhanden sind, die man ja auch nicht wahrnimmt. Wer nimmt

wahr, wie viele Menschen im materiellen Prozess wirklich produktiv

sind, sei es jetzt vom Mistkübelausleerer bis zum Produzenten von

Brot, sag ich jetzt einmal. Das sind ja lauter Dimensionen der Arbeit,

die, wenn sie grundsätzlich nicht anstrengend wären, erst durch das

gesellschaftlich herrschende System anstrengend gemacht werden.

(Soviel wie möglich in kürzester Zeit herausholen.)

 

(Textausschnitt: Die Fabrikhallen sind hoch und graumatt. Wenn es regnet,

sickert Wasser durch die Dächer. Ansonsten ist es kalt. Für das Werkzeug, die

Monturen und Arbeitsschuhe, die er bekommen hat, hat er unterschreiben

müssen. Das heißt: sie gehören nicht ihm. Er besitzt nichts und das wird auch so

bleiben, denn sein Lohn ist niedrig.

Nach sieben Uhr muss er vom BL über die bevorstehende Arbeit verständigt und

auf seinem zugewiesenen Platz sein. Ansonsten wird es als unentschuldigtes

Fernbleiben ausgelegt und das kann die fristlose Kündigung bedeuten.

Er weiß nicht, was BL heißt, aber er weiß, wer BL ist. Das genügt Stramm.

Vom BL wird alles erstellt, geprüft und freigegeben. Auch Stramm.)


Bei der digitalen Überwachung und Selbstorganisation, wie wir es

auch nennen wollen, geht es auch darum, die Fehlerquote zu senken,

aber für den Arbeiter geht es in erster Linie um das damit verbundene

Einkommen. (Gruppenentlohnung, Prämiensysteme, usw.). So dass

sich die Leute untereinander regulieren. Das ist ja mittlerweile die

Idee dahinter. Diese Idee kommt in den 80er Jahren auf, wird groß in

den kontinuierlichen Verbesserungswesen mit der Gruppe und der

neuen EDV, wo man in den oberen Etagen (Betriebsleitung,

technisches Büro, usw.) nicht mehr die vielen Meister und die Dichte

der vielen Angestellten haben muss. In den 70er Jahren gab es bis zu

30%-70% Angestellte in der Industrie. Es gab für die gigantische

Anzahl von Arbeitsteiligkeit und Zerlegung der Arbeit alle möglichen

Angestellten, die irgendwas geschrieben haben, Zettel verwaltet

haben, usw. usf. Das gibt es heute nicht mehr. Die

Produktionsprozesse und auch die Geschwindigkeit und die Fehler,

die dabei auftreten, werden elektronisch erfasst. Es gibt heute nur

mehr wenige Leute, die diesen üblichen Angestelltentypus im

Arbeitsprozess noch haben. Im Großen und Ganzen gibt es aber die

Arbeiter, die auch heute noch so wie früher arbeiten. Nur die Sprache

hat sich verändert.

(Textausschnitt: Ende

Das ist wieder eine Sensation: Flick eröffnet in Österreich heuer noch

insgesamt 25 neue Filialen und schafft dadurch wieder 45o Arbeitsplätze.

Damit ist Flick seinen Kunden noch ein Stückchen näher und ermöglicht

einen noch kürzeren Weg zum Einkauf. Und mit Ihrem Einkauf leisten auch

Sie einen kleinen Beitrag zur Arbeitsplatzerhaltung. Das ist doch ein gutes

Gefühl oder?)

Die Ökonomisierung der Sprache verschleiert das Arbeitsleid.

Natürlich geht es in der Ökonomie um die Abstraktion und das

konkrete Objekt kommt nicht vor. So ist es auch deutlich leichter

kommunizierbar. Das ist ja auch genau genommen das Neue in den

letzten 20 Jahren, dass die Sprache in der Ökonomie sich derart

versachlicht hat und entpersonalisiert hat, sodass sie auch nicht mehr

politisch wirkt. Früher hat man noch in den Betrieben mit der

konkreten Arbeitssituation als Betriebsrat agieren können. Heute kann

man höchstens als Experte agieren. Daher sind auch sehr viele

Betriebsräte auf das betriebswirtschaftliche Denken ausgerichtet

worden. (Reduzierung des Menschen auf das ökonomische Denken).

Ich war im Aufsichtsrat bei Siemens AG als Betriebsrat. Da sitzen dir

Experten gegenüber und da kann man nur als Experte agieren. Den

Kollegen in den Betrieben sitzen auch immer wieder Experten in

Form von Vorgesetzten gegenüber, die diese eine Sprache sprechen.

Diese Sprache ist die Sprache der Betriebswirtschaft und die Sprache

der Ökonomie, die völlig entpolitisiert ist. Die Verbindung ist sehr

schwer herzustellen. Das wäre die Aufgabe der Betriebsräte, die sich

dem häufig nicht stellen; nämlich weil da die Betriebswirtschaft

infrage gestellt wird. Es gilt, die automatisch angenommenen

Sachgesetze infrage zu stellen. Das war lange Zeit meine Aufgabe

dort. Das ist nicht sehr beliebt bei den jüngeren Mitarbeitern, weil sie

eben diese Arbeitsleiderfahrung nicht haben, auch wenn sie sie real

erleben. Meine Erfahrung ist, auch im Bereich der EDV und anderen

Arbeitsprozessen, dass die Leute ihre eigenen Leiderfahrungen nicht

artikulieren. Sie wollen es nicht mehr mitteilen. Sie wollen nicht

darüber reden, sondern sie brechen körperlich zusammen. Burnout,

Herzinfarkt oder was immer. Das hat mit der Arbeit nichts zu tun,

macht man sich vor, sondern es muss mit dem eigenen Fehlverhalten

oder etwas anderem zu tun haben. Das wird auch so im Buch von

Werner Lang beschrieben.

(Textausschnitt: Zum Beispiel stand ein Walzer mit seiner Walzzange zu nahe

neben einem gezogenen fehlerhaften Walzstab, das heißt, der Stabstahl war auf

der Seite aufgerissen, so konnte es passieren, dass dieser Walzstab dem Walzer

den Bauch aufriss. Wenn das passierte, ging alles ganz schnell. Die Gedärme

wurden dem Walzer vom nächsten Hilfsbereiten in den Bauch reingedrückt und

solange zugehalten bis die Rettung kam. Das Blut wurde, wegen Rutschgefahr

weggewaschen, und die Arbeit wieder aufgenommen. Der Produktionsablauf

konnte so meistens ohne Verlust aufrechterhalten werden“.)


Als Leidfaktor wird bei Werner Lang auch die Entsolidarisierung

benannt. In den 80er Jahren, als ich auch schon

Betriebsratsobmannstellvertreter war, war das Problem mit der

Gewerkschaft der GPA einigermaßen solidarische Aktionen,

Betriebsversammlungen abzuhalten, z. B. wo auch der Hader als

Kabarettist aufgetreten ist. So etwas ist heute nicht mehr möglich. Die

Leute sind so entfremdet und individualisiert, dass sie sich nicht mehr

zur Betriebsratsfeier ins Schweizerhaus zu kommen trauen. Sie haben

Angst, dass sie als Freund des Betriebsrats gelten.

Mir geht es jetzt nicht darum diese Situation soziologisch oder

politisch zu analysieren, sondern mir geht es um die Literatur von

Werner Lang. Die soziologische und politische Grundlage, die er in

seinem Buch verwendet, entspringt ja aus seiner Arbeitswelt. Mir geht

es darum, dass das ein seltener Fall ist, dass das Arbeitsleid literarisch

artikuliert wird, dass jemand den Versuch unternimmt, das auf Text zu

bringen. In der Soziologie oder kritischen Ökonomie gibt es ja immer

wieder den Versuch, über Arbeitsleid usw. usf. zu schreiben. Aber das

ist kein literarischer Text. Und nicht als solcher zu lesen. Der Werner

Lang hat in diesem Buch, um das geht es ja letztlich, den Versuch

unternommen diese Dimension, die nach meiner Auffassung, in der

Welt verborgen ist, literarisch und auch bildlich zu artikulieren. Es ist

so, und das ist bei Werner Lang zwischen den Zeilen auch

nachzulesen, dass in unserer Gesellschaft der materielle Arbeiter

abgewertet wird. Es war schon einmal – bis in die 20er Jahre in der

Zwischenkriegszeit und ganz kurz nach dem 2. Weltkrieg, auch Ende

der 60er- bis Anfang der 80er Jahre – da wurde die materielle Arbeit

durchaus romantisch heroisiert. Und es gab Literaten, die der Meinung

waren, die Verbindung zwischen Intellektuellen und Arbeiterschaft

sollte man pflegen. In Italien z. B. war das in dieser Zeit ganz groß. In

Österreich waren das nur ganz zaghafte Versuche. Turrini, Scharang

und ein paar andere. Mitte der 80er Jahre hat sich die Ideologie so

weit geändert, dass Arbeiter sein mittlerweile eine Schande ist.

Schwerarbeit, das ist ein Pech. Das war Unglück, darüber spricht man

nicht. Auch der Angestellte, wenn er Schichtarbeit ausgesetzt ist, z. B.

Schichtbetrieb im Spital usw. usf., leidet darunter. Auch dann, wenn

man nicht mehr schlafen kann und mit 45 ausgebrannt ist, kommt man

nicht mehr auf den Gedanken, dass man wie ein Schlachttier in einer

Tierfabrik verwertet wurde. Eine Verwandte von mir ist mit 48 mit

Burnout als Krankenschwester in die Frührente gegangen. Das heißt,

die ist kaputt. Das ist heute im Arbeitsprozess so, und wenn man

kaputt ist, traut sich das keiner mehr artikulieren, außer als

Individuum zu sich selber. Früher hat es noch Institutionen gegeben,

wo das artikuliert wurde und man/frau in den Betrieben usw. dagegen

aufgestanden wäre. Das hat sich ab den 80er Jahren geändert. Um

diese Zeit herum gab es massive Veränderungen in der materiellen

Produktion. Nach den Veränderungen des Arbeitsprozesses zählten

die Arbeiter, die dort noch beschäftigt waren und sind, nichts mehr.

Die zählen einfach nicht. Wenn der noch so gut oder fleißig ist,

gescheit ist, noch so viel leistet, dann zählt das bestenfalls in diesem

kleinen betrieblichen Zusammenhang. Was zählt ist die

Konsumfähigkeit. Wo immer er oder sie das Geld, große Autos, neue

Kleider, große Wohnung herhat, die Konsumfähigkeit wird

wahrgenommen und positiv bewertet und immer mehr positiv

beurteilt, aber die Arbeitsfähigkeit wird eher versteckt und

zurückgedrängt und insbesondere der negative Aspekt des Leides wird

verdrängt. Um bei der Literatur zu bleiben, Werner Langs Reaktion

darauf ist, das gegen den Mainstream zu artikulieren. Auch als und im

Theater gibt es das Arbeitsleid als Leid nicht zu sehen, oder wird nicht

gespielt, denn in den Theaterstücken von Werner Lang kommt das

Arbeitsleid vor.

(Textausschnitt: Mann im Rollstuhl:

Manchmal, wenn ich in der Früh aufwache, denke ich mir: Ich gehöre nicht

hierher, obwohl ich in diesem Ort schon vierzig Jahre lang lebe. ... Nun wo wir

endlich alleine sind in der Pension, haben sie uns alle verlassen. Das hat auch

was Gutes. Jetzt brauche ich keinen mehr kennen.

Den Franzi haben sie auch geholt. Weiß du noch, ich habe nur etwas

unterschreiben brauchen. Früher ging das nicht so schnell. Wohin haben sie in

gebracht, Resi?

... Sieh nur, die Sonne. Wie Spinnfäden hängen ihre Strahlen in der Luft.

Manchmal kommen auch Vögel an unser Fenster. Einmal saß ein Vogel im

Zimmer. Ich weiß nicht mehr, woher er kam. Das Fenster war zu. Er flog mit

dem Kopf an die Fensterscheibe. Immer und immer wieder, bis er tot war. Ich

sah ihm zu und dachte mir: Ein fleißiger Vogel

... War das vor unseren Kindern oder nachher?)

Auch bei den Jelinekstücken gibt es die Welt des Arbeitsleids genau

genommen nicht. Bei Elfriede Jelinek hat es alle möglichen Leiden

gegeben, aber das Arbeitsleid, als Erlittenes, hat es nicht gegeben.

Auch bei anderen großen Literaten gibt es das erlittene Arbeitsleid

nicht. Bei der Jelinek kommt das Leid schwerpunktmäßig in einer

anderen Dimension vor. Z. B. ein vom Faschismus erlittenes Leid.

Das ist ein zusätzliches Leid, das auch eine Rolle bei Werner Lang

spielt. In seinem Buch wird auch der Faschismus als erlittenes Leid

behandelt. Es ist überhaupt ein zusätzliches Leid der Arbeiterklasse.

Die Arbeiterklasse ist ja – da sie sich einerseits enttäuscht durch das

wirtschafts- und sozialpolitische Versagen der Sozialdemokratie, von

ihr abwendet, und auch andererseits dadurch ihr immer unterstellt

worden ist, dass sie Faschismen zuneigen würde - doppelt betroffen.

(z. B. Eintrag auf der ÖGB-Web-Page: „Das Kaputtsparen, das

Zusammenstreichen von Sozialsystemen quer durch Europa, hat die

Krise noch verstärkt.“ Am selben Tag stimmen alle ÖGB-Vertreter im

Nationalrat für den EU-Fiskalpakt, der genau dieses Kaputtsparen und

Zusammenstreichen von Sozialsystemen in Zement gießt.). Wer die

Geschichte der Arbeiterbewegung kennt, dann muss man die oft

behauptete profaschistische Haltung der Arbeiter bestreiten. Es gab

einen ganz massiven Kampf der Arbeiter und Gewerkschaften gegen

die Machtergreifung des Faschismus in Österreich, der offensichtlich

nicht bekannt ist. Es wird ja auch nicht unterrichtet. Das gibt es heute

nicht. Es gibt die Geschichte der Arbeiterklasse und ihrem

antifaschistischen Kampf auch nicht in Spanien, nicht in

Griechenland. Die gesamte jetzige Krise ist ja auch die Krise der

postfaschistischen Staaten, Griechenland, Portugal, Spanien. Italien

weniger. Aber die anderen sind bis 1980 Diktaturen gewesen. Das ist

einer der wichtigsten Punkte, die heute vergessen worden sind. Diese

Arbeiterklasse, die dort überall existierte, hat ja dort im Kampf gegen

den Faschismus auch massiv verloren. Sogar der Standard schreibt,

dass es darum geht, die Löhne in diesen Ländern bis auf nichts zu

kürzen. Dieser Vorschlag zur Lohnsenkung kam aus England und

Deutschland. Die Vorschläge um Arbeitsrechtsveränderungen in

diesen oben genanten Ländern kam auch von der Frau Merkel. Diese

Maßnahmen bewirken Veränderungen, die ganz massiv in die

Lebensumstände der ökonomischen Verhältnisse, vor allem in die

Arbeitsverhältnisse in diesen Ländern eingreifen. Sie greifen aber

nicht in die 40% der Oberschicht, denen es einigermaßen gut geht im

Staat, ein. Diese 40% werden auch als Stimmungsparameter für die

Mehrheit in einem Land herangezogen. Das ist in der ganzen Welt zu

beobachten. Bei den durchgeführten Untersuchungen geht es nicht

darum, weil man am Elend interessiert ist; sondern politisch

interessiert ist, weil die jeweiligen politischen Parteien sich an den

Stimmungen im Land orientieren. In den USA wurden die

Mittelschichtangehörigen als die meinungsbestimmenden Gruppen

angesehen. In vielen Studien wurden Arbeiter daher nicht befragt.

(Kern H., „Empirische Sozialforschung“: Ursprünge, Ansätze,

Entwicklungslinien, München 1982, S.162)

Ein paar Beispiele, um einiges besser verständlich zu machen:

Ford war gegen die Gewerkschaft. Adolf Hitler hat ein Porträt von

Ford in seiner Reichskanzlei in Berlin an der Wand hängen gehabt,

weil Ford Antisemit und Antigewerkschaftler war. IBM hat über eine

eigene Firma im Dt. Reich bis in die 40-er Jahre die entsprechende

Software hergestellt, um die Informationen zur jüdischen Vernichtung

zu automatisieren, usw. Diese Zusammenhänge werden ja nicht

hergezeigt. Die Zielsetzung Hitlers, seine weitreichenden Expansionsund

Weltherrschaftspläne, entsprach auch voll und ganz der

eingesessenen Oligarchie. (Siehe: Theodor Prager, Wirtschaftswunder

oder keines? 1963)

Dass sich der Faschismus politisch durchsetzten konnte, wurde ja auch

schon mit dem wirtschafts- und sozialpolitischen Versagen der

demokratischen Staaten mehrmals gesellschaftswissenschaftlich

erklärt. (siehe: Heimann, Freedom and Order, 1947)

 

(Textausschnitt: Achtundvierzig spricht starr vor sich hin:

Es gibt auch Zeiten, wo das Geld verschwindet von den Straßen, überall

Verschuldung herrscht und der Nächste schuldig gesprochen wird. Dann,

fürchte ich, führt mein Weg wieder – über den Nesselweg – zur Arche zurück.

Denn meine Arche heißt in diesen Zeiten überall „Hartheim.“)


Ich spreche vom Begriff Faschismus und nicht nur von der extremsten

Ausformung des Faschismus, der sich Nationalsozialismus nannte.

Nationalsozialismus ist ein demagogischer Begriff. Was von diesen

oben genannten faschistischen Staaten blieb, ist der aufgeblähte

Militär- und Polizeiapparat, der nie reformiert wurde und natürlich die

aufgeblähte Bürokratie. Das sind die entscheidenden Faktoren, warum

man in diesen Ländern zu keiner demokratischen Kultur und

Arbeiterkultur findet, und darum auch in Zeiten einer Wirtschaftskrise

alle Lasten auf die Arbeiterklasse übertragen kann. Gleichzeitig hat

Deutschland und das muss man ja auch sehen, wiederum zu einer

imperialistischen Politik, die die Nazis eingeführt haben,

zurückgefunden. Die deutsche Großindustrie zählt zu den Mächtigsten

Europas, weltweit. Die Konzerne wie Daimler, VW, Bayer, BASAF,

Thyssen-Krupp, E.ON, REW, Hochtief formulieren einen politischen

Willen und die Frau Merkel marschiert. Der Vorsitzende des

Bundestages der Deutschen Industrie in einem „Exekutiv-Letter Hans

Peter Keitel formuliert sinngemäß: ESM und Fiskalpakt sind wichtig,

aber zu wenig. Es gelte nun „die Chancen der Krisen“ zu nutzen, um

die „Übertragung weiterer nationaler wirtschaft- und finanzpolitischer

Kompetenzen auf die europäische Ebene“ zu erzwingen. (25. 06.

2012). Diese Politik wird von der Frau Merkel unter der Bezeichnung

Krisenbekämpfung durchgezogen. Das schaut in Italien z. B. so aus,

dass man einfach Löhne senkt. In den USA hat es 1933 zur

Krisenbekämpfung den New Deal gegeben. Sie beinhaltete auch eine

Lohnerhöhung. Eine Einführung von Mindestlöhnen, Schaffung und

Ausbau sozialer Einrichtungen, Subventionen für bedürftige Farmer

und Ermutigung der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeiter.

Kein Wunder, dass die Oligarchen das „Vertrauen verloren“ und alles

taten, um „diesen Kerl“ Roosevelt zu Fall zu bringen. (Theodor

Prager, „Wirtschaftswunder oder keines?, Europa-Verlag, 1963).

Hätte man in Italien oder Spanien keine faschistische, sondern eine

demokratische Geschichte gehabt, dann hätten sie für die Arbeiter

irgend etwa gemacht. Aber weil sie eine menschenverachtende

Geschichte haben, ist es vollkommen klar, dass sie das Volk

aushungern. Und in Griechenland: Wenn man das sich vorstellt, dass

die Pensionen um 50% gekürzt wurden, dass die Staatsgehälter auch

um 50% gekürzt wurden, aber das Militär ist nicht gekürzt worden.

Die Armut in Griechenland ist exorbitant gestiegen. Auch in

Deutschland gibt es eine gigantische Steigerung von “Working Poor“.

Das sind Leute, die arbeiten und arm sind. Das ist ein Zeichen einer

ganz spezifischen Entwicklung. Der Gründer, der Attac schreibt:

Bewegen wir uns in eine rechte Diktatur Europa?

Wer leidet wirklich? Es leiden, das sag ich einmal, nicht die obersten

30%-40%. Denen geht es nicht schlecht. In den USA hat die Firma

Obama und seine Vorgänger schon etwas weitergebracht. Es geht ja

auch weiter. Bei uns sind die Glücksfaktoren hoch, weil es vielen

noch gut geht, sie auf Reserven leben können und ihre Kinder

ernähren, auch wenn sie „Hackenstad“ sind usw. In den anderen

Ländern geht das zu Ende. In einer gewissen Zeit ist es aus, ist das

Vermögen verbraucht. In England z. B. ist es mittlerweile so, damit

jemand Krankenschwester werden will, müssen die 1000-ende Pfund

Schulden anhäufen damit sie die Krankenschwesterschule machen

können. Das ist dort üblich. Das ist in den USA genauso und das wird

bei uns diskutiert. Die Ausbildung der Kinder und Jugendlichen wurde

dort extrem teuer gemacht. Die Gefahr ist ja, dass in anderen

europäischen Staaten, die noch ein bisschen ein sozialdemokratisches

System (wenn man das so nennen darf?) haben, sich auch dieses

System durchsetzt, wie z. B. in Italien. Bei all dem ist es wichtig, dass

einem das physische und psychische Leid wieder gesellschaftlich

bewusst wird, sonst folgt statt eines Widerstandes der

Zusammenbruch. Dazu kann das Buch „Arbeitswelten in Bild und

Wort“ von Werner Lang beitragen.

(Textausscnitt: In den Augen der Sprachgewaltigen / müssen Opfer gebracht

werden / Schulden auf sich genommen werden / damit sich wenige ihr Vermögen

anhäufen können / Billionen Dollar / die nicht mehr in die warenproduzierende

Wirtschaft investiert werden / sondern in der Welt herumvagabundieren /

müssen hereingebracht werden / durch Opferbringung / damit das so bleibt /

bist jetzt du an der Reihe / Kollege / sieh dich als Opfer / du wirst nicht das

letzte sein / auch wenn dein Name nicht ausgesprochen wird /findest du dich

unter Kostenfaktor wieder / denn die wissen besser / wer du bist / eine

betriebswirtschaftliche Abschreibung / bestenfalls eine Maschinenverlängerung

mit menschlichem Antlitz / was noch bleibt wird verlagert, erneuert, verbilligt

und gewinngarantiert abgesichert.)

(Leidsysteme in unserer Gesellschaft, die von Werner Lang literarisch

in seinem Buch: „Arbeitswelten in Bild und Wort“, bewusst

gesellschaftspolitisch, aus der Deformation der zwischenmenschlichen

Beziehungen heraus, die bei unmenschlichen Arbeitsbedingungen

entstehen, aufgearbeitet werden.)

Die Textausschnitte sind aus dem Buch „Arbeitswelten in Bild und

Wort“ geschrieben von Werner Lang entnommen.

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31. Januar 2009 6 31 /01 /Januar /2009 18:41

Katastrophen die sozialen Entwicklungsmöglichkeiten und Dynamiken selbstreferentiell und

fremdreferetiell (Natur-Einflüsse) bestimmen.

Alle realen Entwicklungen (besser Geschichte der..) scheinen quasi als sozialer Automat unabhängig

vom Menschen zu funktionieren, das ist jedoch dem falschen Schein der entfremdeten Erkenntnis

geschuldet, die Menschheit ist der Demiurg ihrer sozialen Entwicklung – es gibt keinen Freispruch,

kein stellvertretendes entschuldendes Opfer.

 

Der postmoderne „Virtuelle Realismus“ als kritische Überwindung des Modernen Formalismus

„zwei Brüche“ : der erste, die Moderne einleitende Bruch, ist der ‚Bruch mit dem Abbild und der Referentialität’, die ‚Entgegensetzung von vormoderner und moderner Malerei’, die sich um den ‚Gegensatz zwischen Funktionalität und Autonomie’, zwischen ‚Referentialität und transzendenter Ordnung’ herum anordnete. Der zweite, die Moderne überwindende Bruch, der Bruch mit der Abstraktion und Konkretion, wurde der Gegensatz von moderner und postmoderner Malerei, der sich um die Achsen Desillusionierung und Refiktionalisierung dreht . Zwischen den heterogenen Wissensformen, Medien, Stilen soll ein geistiger Waffenstillstand, ein scheinhafter Frieden der Simultaneität, ein ästhetischer Balanceakt des konkurrenzhaften, marktwirtschaftlichen Zugleichseins herrschen. Die Verabschiedung jeder Orientierung, die auf Ausschließlichkeit des eigenen Anspruchs besteht und sich monoman gebärdet, greift auch dem Geschichtsprozess vor, der weder gänzlich mit dem technologischen Fortschritt konform verläuft, noch Außenseiterpositionen und Oppositionen zum neuartigen Stil-, Medien und Kulturpluralismus verunmöglicht.

Die wesentliche Erkenntnis, dass ein privilegierter Ort, ein privilegiertes Subjekt, eine privilegierte Klasse oder Ideologie als Begründung eines hegemonialen Kunst-Wissens angenommen werden kann, ist nicht idealistisch oder weltfremd, eben weil sie die machtmäßige, materielle Privilegierung der herrschenden Eigentümer nicht außer Acht lässt.

Die affirmativen Beschwörungen der Kunstideologen wollen, dass sich alles der postmodernen Ideologie des prinzipiellen Pluralismus beugt. Diese scheidet alles aus was  sozial und kulturell Antinomische ist, was das Unvereinbare zwischen technologisch fortgeschrittener Rationalität und den regressiven, untechnologischen, neoromantischen Kodierungen der Gegenwartskunst durch Mythos, Religion, Eros, Wahnsinn, Tod ausmacht.

.

 

Gerhard ABA , Lisa Bufano 2005, Foto, 200x120 cm

 

Dagegen wendet sich zurecht Jürgen Habermas und bindet seine Hoffnung auf das Fortsetzen des nach dem zweiten Weltkrieg stagnierenden Projekts der Moderne nicht an die unverbindliche Kollektion so vieler paralleler, heterogener Ansätze, sondern fordert ihre versöhnliche Auseinandersetzung unter der Kompetenz der selbstkritischen Vernunft, ihren trotz allem nicht aus den Augen zu verlierenden Selbstreinigungsprozess. Damit wird aber Habermas dem apostrophierten «Eigensinn der kulturellen Moderne» nicht gerecht und die antinomische Struktur der Moderne, ihr Dissenscharakter, die Tendenz zur Divergenz und Differenz (Deleuze) werden abermals verfehlt.


Das refiktionalisierte Bild
Die Postmoderne ist die „ästhetische Neubesetzung der Fiktion“. Die Kunst den ‚Bindungen des schönen Scheins’ zu entheben und ihr die ‚Relevanz einer das Leben durchdringenden und das Leben verändernden Kraft’ zu verleihen, war das historische Programm einer dominant linken Entwicklunglinie der Avantgarde. Dagegen geht es in den postmodernen Werken der Kunst und der Architektur um eine „Wiedererlangung eines fiktiven Gehalts, der durch den Versuch der Moderne, Kunst ins Leben zu überführen, geopfert worden sei. Dieser fiktive Gehalt könne ausschließlich unter der Bedingung einer Neuerrichtung der ästhetischen Grenze zwischen Kunst und Wirklichkeit in die Kunst zurückgeholt werden (so die Apologie vom Ende des Endes der Kunst..).

Parallel zur Absage an die Abstraktion muss es verständlich erscheinen, dass den Avantgarden unseres Jahrhunderts das Ausspielen von Figuration gegen Abstraktion als Ausdruck einer reaktionären Haltung gelten musste. In ihrer Ausrichtung auf die Abstraktion musste jede Hinwendung zur gegenständlichen Malerei als Verrat erscheinen. Auf einer anderen Ebene gilt für die gegenständliche und ungegenständliche Kunst in der Moderne, dass beide Richtungen zur Moderne gehören. Doch während die ungegenständliche Kunst insbesondere seit 1945 fraglos als Hauptweg der Moderne akzeptiert, in USA nach 1945 inbesonders in der McCarthy Ära gegen den Kommunisten Picasso fast diktiert wurde, konnte sich die gegenständliche Kunstströmung lange Jahre lediglich im Abseits, d. h. auf den Nebenwegen des kalten Krieges halten.

.


Balavat  „die …Zwerge…2003


Balavats Riesenzwerge  und zwergenhafte Menschen im Wald führen in eine Fiktion ein. Sie visualisieren die komische Tragik der sterblichen Menschen im Märchenwald der Ewigkeit. Der Betrachter wird unmittelbar in diese Welt, d. h. in diese Fiktion versetzt.


Das bewegte Bild

Klotz und Weibel zufolge können wir nach dem Ende der Malerei einzig und allein das bewegte Bild als Bild noch akzeptieren. Im amerikanischen Pavillon der Biennale 1995fanden wir über die Darstellung avancierter Medien der Bildproduktion hinausgehend den Versuch, das Bild nach dem Ende der Malerei herzustellen. Das war der Versuch von Bill Violas Video-Räumen.

Die Arbeiten Violas, aber auch diejenigen von Nam June Paik, Gary Hill, Bruce Nauman, stehen in der Logik der formalen Konsequenzen, die Impressionismus, Kubismus, Abstraktion, Visualisierung von Konzepten und Refiktionalisierung von Bildern gezogen haben. Nach dem Ende der Malerei sind Bilder, die den Anspruch, Kunstwerke zu sein, erheben wollen, nur als bewegte Bilder denkbar, die stilgeschichtlich Klotz zufolge einer „zweiten Moderne“ zugerechnet werden müssen.

Das hat Folgen für die Kunstgeschichte, denn Kunstgeschichte hat in der Tradition als ihren Forschungsgegenstand ausschließlich das Standbild gekannt. Mit diesem Forschungsgegenstand ist Belting zufolge auch die traditionelle Kunstgeschichte zum Ende gekommen. Kunstgeschichte nach dem Ende der Kunstgeschichte ist Mediengeschichte des bewegten Bildes. Entwicklungslogisch betrachtet setzt sie dort an, wo die Moderne ansetzte, als sie die Krise des Abbildes und der Repräsentation mit einem gewaltigen Desillusionierungsunternehmen überwinden wollte. Weil seither jedoch über 100 Jahre vergangen sind, muss diese Kunstgeschichte nach dem Ende der Kunstgeschichte, darin würden Klotz und Weibel übereinstimmen, als Beschreibung einer „zweiten Moderne“ eingeschätzt werden.


In diesem Sinne sind die Bilder Heimo Wallners in den Grafik-Animationen „MENUDO“ und „MAO“ wieder Abbilder, aber nicht passive Abbilder einer stillstehenden sinnlichen Erscheinungswirklichkeit, sondern Simulacren des Magmas der Imaginationen. Der Grundzug des virtuellen Realismus besteht für Wallner in der Reillusionierung der Bewegung der IMAGINATIONEN.

 

MENUDO , H.Wallner imaginäres Morphiing

„Zeichentrickfim“ 17 min


Hatte die Kunst der Neuzeit den Versuch, auf der zweidimensionalen Fläche die Illusion einer dritten Dimension hervorzurufen, bis an seine Grenze getrieben, versuchen die Installationen der Medienkunst, die Illusion der Wirklichkeit als Bewegung zu erzeugen indem sie dem Rezipienten „Maschinen der Sinnlichkeit“ zum Gebrauche bieten. Der neue Aspekt des Simulacrums, also die Zeitlichkeit, war der auf den räumlichen Aspekt fixierten Malerei seit der Renaissance nicht in den Blick gekommen. Erst mit den technischen Voraussetzungen der Medienkunst konnte die Bewegung als Grundzug der imaginativen Wirklichkeit entdeckt und dargestellt werden (vgl. auch C. Castoriadis über die IMAGINATION) .

Nach der Moderne und der Postmoderne, also nach der schrittweisen Abhebung der malerischen Ebenen des Illusionismus und nach der Refiktionalisierung des Bildes, entsteht mit der Medienkunst eine neue, eine zweite Moderne in der Kunst. Die Moderne, die aus dem Bruch mit dem Abbild hervorgegangen ist, hat das Gemälde auf seine dingliche Realität zurückgeführt. Die Postmoderne, die nach dem ersten Ende der Malerei der konkreten Kunst für eine Refiktionalisierung des Bildes eintritt, erneuert damit nicht wirklich die Malerei, wie Klotz es beispielsweise herausgestellt hat, sondern knüpft an Tendenzen an, die bereits bei Max Beckmann, beim späten Picasso und beim späten de Chirico vorzufinden waren und vollendet damit endgültig die Malerei des figurativen Standbildes, d. h. des unbewegten Bildes. Die Postmoderne ist also neu und zugleich auch alt, insofern nichts wirklich Neues nach der Moderne, sondern lediglich eine Phase in der Moderne. Die Medienkunst, die in der Tradition der Malerei seit der Renaissance nicht mit dem Illusionismus, sondern mit der Bewegungslosigkeit des Tafelbildes bricht und das bewegte Bild zur neuen Kunst erhebt, ist damit zur Kunst nach dem Ende der Malerei geworden. Aber diese Kunst nach dem Ende der Malerei ist nicht etwas absolut Neues. Denn die Medienkunst hat die Grenze, die die Moderne sich selbst gesetzt hat, nur wieder einmal überschritten. Und damit ist sie nichts mehr und nichts anderes als eine „andere Moderne“.

 

 

Virgilius Moldovan „zwei Schöne“ Silicon 2003

 

„Die Wahrheit kann beunruhigen. Das erfährt jeder, der sich von Virgilius Moldovans hyperrealistisch dargestellten Figuren zur Übertretung jener Grenze verführen lässt, die uns gemeinhin als Scheu vor der obszoenen Intimität des Anderen erscheint und davor bewahrt, uns selbst zu genau in dessen Durchschnittlichkeit zu erkennen. So erhalten Moldovans Skulpturen ihre enorme künstlerische Kraft nicht aus der Perfektion ihrer Fertigung, sondern aus dem Nicht-Perfektsein ihres Gegenstands: des Menschen. Die Beunruhigung in dieser gestalteten Wahrheit über die  Kuenstler als Menschen , die gesellschaftliche Bedeutung der Gestalten (Picasso, Rembrandt, Warhol..) und deren Vergehen und Tod ist der Garant für das Gelingen der künstlerischen Arbeit. Durch den radikalen Bruch mit den Traditionen von Verklärung oder Kritik auf der einen und Abstraktion auf der anderen Seite gibt Virgilius Moldovan der Kunst ihren Kern zurück, den Menschen selbst.“ (R.S. „Rückkehr des Menschen als Riesen“,Katalog Virgilius Moldovan, 2006)

 

 

Kunst und Cyberspace

Die Identitäten des Cyberspace wirken, auch wenn die gebotenen Identitäten „flach“ und „fließend“ sind und auf einem Bildschirm angeboten werden. Die Option beliebig wählbarer und fließender Identitäten scheint eine Verführung für alle zu sein, die ihren Alltag als leer und monoton erleben. Im digitalen Raum des globalen Datennetzes ist eine Vielzahl von Knoten virtueller Kommunikation entstanden, die sich als Orte für virtuelle Gemeinschaften anbieten. Traditionelle Formen der face-to-face Interaktion erhalten starke Konkurrenz durch die on-line-chats, durch virtuelle Cafes und insbesondere durch die MUDs (Multi User Dungeons) als Spielplätze für virtuelle Selbstdarstellung und Kommunikation nach von ihren Programmiererinnen festgelegten Regeln. Welche Möglichkeiten des Selbstseins, der menschlichen Existenz, welche Formen von Beziehungen bieten diese virtuellen Räume? Turkle bescheinigt ihnen auf der Basis extensiver Interviews mit MUD-TeilnehmerInnen, dass sie soziale Laboratorien der experimentellen Konstruktion und Rekonstruktion von Identität darstellen, die charakteristisch seien für das Leben in der Postmoderne. Sind MUDs also soziale Räume oder doch und zugleich virtuelle Räume? Die Hauptidee der MUDs ist für Turkle die virtuelle Neufassung des eigenen Selbstbildes: „[...] du kannst der sein, der du sein möchtest, der zu sein du schaffst“ . Von anderen Teilnehmern wahrgenommen zu werden und ihre Reaktionen zu erfahren, vermittelt offenbar rasch das starke Gefühl, wirklich die persona zu sein, die man sich ausgesucht hat, besonders bei Spielern, die oft bis zu acht Stunden pro Tag in ihrem MUD verbringen. Turkle sieht die Probleme, die entstehen, wenn die konstruierte virtuelle Welt und die Welt des Alltags zu sehr in Konflikt geraten. Sie ist aber dennoch geneigt, den Raum der virtuellen Kommunikation als reale Option, ja als eine Bereicherung des Alltags zu sehen. Unausgesprochen setzt sie dabei Lebensbedingungen einer „postmodernen Existenz“ voraus, in der durch die allgemein gesteigerte Mobilität, die Verdichtung der Kommunikation und die globale Ausweitung der Handlungsoptionen eine Fülle von individuellen Handlungsmöglichkeiten erzeugt würden, die kaum noch zu bewältigen seien und einen hohen Preis forderten: Zunehmender Verlust sozialer Sicherheiten, lokaler Zugehörigkeiten, erhöhte ökonomische Risiken, die Aushöhlung kohärenter Selbstbilder - all dies unter dem Diktat einer politischen Ökonomie des Raumes und der Informationen, die letztlich bestimmt ist durch kommerzielle Interessen, durch die Marktstrategien eines neuen Produktionssektors der telematischen Industrie, der mittlerweile das Geschehen auf den internationalen Aktienmärkten entscheidend bestimmt. Die von den Enthusiasten (mehr als 8 Millionen Atavars im Second Live der Geltungssucht) des Cyberspace gepriesenen Segnungen der Virtualisierung der Existenz in der Welt der Daten hat ihre Basis in diesen realökonomischen Gegebenheiten. Diese geraten übrigens systematisch aus dem Blick, wenn man sich der virtuellen Welt des Cyberspace verschreibt. Denn das hervorstechende Merkmal dieser Welt ist Nicht-Lokalität, was unterstrichen wird durch ein demonstriertes Desinteresse an den Vorgängen in der Realität der sozialen Umwelt. Die virtuelle Welt ist selbst sozial desituiert, eine dem Belieben anheim gestellte Wahl von Virtualitäten, losgelöst von der sinnlich-leiblichen Dimension der Wahrnehmung. Die neuen Muster eines „Selbst im Werden“ sind definiert durch die Verwendung der neuesten verfügbaren Technologien, die selbst allerdings nicht neutral sind.

 

Herwig Zens, Tod in der Disco, (aus Zens/Janisch, der Tod auf Urlaub), Radierung 2007

 

 

Demokratie und Kunst

Gegen die Tendenzen einer in den letzten 100 Jahren geforderten Demokratisierung der Elitekunst wurde eine neue Kommunikationsschiene ein gezogen, die das dringend benötigte Spender- und Sponsorenpublikum durch reservierte Besuchstermine, exklusive Veranstaltungen, Sammler-Soireen in Gegenwart von Künstlerprominenz usw. privilegiert, wodurch der gemeinsame Sockel von Kunst und Rezeption, die Dienstleistungen der Museen, neu hierarchisiert wurden. Die fortschrittliche, museologische Verabschiedung der Ära des publikumsfernen, kustodialen Museums trügt. Offensichtlich bleibt uns neben zugkräftigen Ausstellungsinszenierungen, den neuen Öffentlichkeiten der sich prostituierenden Muse und den Erlebnislandschaften der elektronischen Kommunikationsästhetik, eine Burg der „wahren“ Kunstkenner erhalten. Müssen wir die Refeudalisierung des Kunstgenusses in der Museumspolitik des 21. Jahrhunderts fürchten? Das Entgrenzungsprojekt der Kunst-Moderne kann mit dieser Entwicklung ebenso wenig einverstanden sein wie mit dem Wildwuchs der Kommunikationskultur. Für die neuen Funktionen der Kunst, die sich durch ihre neue technische, industrielle Instrumentalisierung ergeben haben, forderte vorausschauend Susan Sontag als Ergänzung ihrer übrigen Funktionen einen ethischen, humanistisch begründeten Rahmen, die Abstimmung mit dem Gewissen des antiquierten Menschen. Dass die neuen Technologien neue Lebensstile erzwingen, das Diktat der wissenschaftlichen Prothesenkultur sich unbesehen durchsetzt, fällt der sich emanzipatorisch begründenden Kunst-Moderne in den Rücken, will sie sich nicht zur Affirmation des Neuen und Innovativen verkleinern und verharmlosen lassen.

 

 

Zenitta Luis, gestickt aus Leinen, House for rent, 2006, 80x80 cm

 

Auch wenn Avantgarde und Neo-Avantgarde längst historisch geworden sind - die ihrer ästhetischen Grundhaltung endemische Selbstgerechtigkeit und Kritikfeindlichkeit hat die Kunstwelt nie wirklich aufgegeben. Nach wie vor behandelt sie die kritische Diskussion als rein interne Angelegenheit. Außenstehende dürfen wohlmeinend davon Kenntnis nehmen - ein Einspruchsrecht haben sie nicht. Die professionelle Kritik hat sich dieser Ansicht weitgehend angeschlossen.

                                  


“Statt das Publikum mit Netzhautmalerei (Duchamp) zu umschmeicheln, setzt mel contemporary darauf, Chaos in die Ordnung zu tragen (Adorno). Es ist mehr das Monströse als das Zarte, das Obszöne, das Unverhüllte, das BesucherInnen hier finden können, Kunstwerke, die in Staunen versetzen, die aus Leidenschaften, fundamentalen Ängsten und menschlichen Begierden entspringen und die auch immer wieder (warum eigentlich nicht?) amüsiertes Lachen hervorrufen. Unter vielen anderen Arbeiten, waren in den fast 6 m hohen Ausstellungsräumen die nackten Gigantenfiguren Moldovan’s zu sehen, ein 7 m langes Boot aus Makulaturpapier (Mühlbacher/Stalzer) oder Fotografien von in erotischen Posen inszenierten amputierten Frauen (Aba).“ Gabriele Stöger, Wirklichkeiten

Wu Jan Wei , Fotomontage  (1/20), 2007, 160x120cm

 

 

 

 

Verwendete Literatur

Bildnachweis: Katalog mel contemporary 2008


H. Belting, Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren, München 1995.

C. Demand, Der böse Geist der Avantgarde, Wespennest 116

P. Gorsen, Was überlebt vom Projekt der Moderne ?, Wespennest 118
B. Groys, Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie, München u. Wien 1992.
M. Imdahl, Farbe. Kunsttheoretische Reflexionen in Frankreich, München 1987.

Daniel Henry (Kahnweiler), Der Weg zum Kubismus, München 1920
H. Klotz, Kunst im 20. Jahrhundert. Moderne, Postmoderne, Zweite Moderne, München 1994.

E. List, Floating Identities, Terminal Bodies, Argument 238

N. Luhmann, Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992

J. Meinhardt, Ende der Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei, in: Kunstforum, Bd. 131, Aug. - Okt. 1995.

H. Platschek, Die Zeit ist ein gieriger Spieler, Hamburg 1999

W.Spies, Kunstgeschichten, Köln 1998

P. Weibel, Probleme der Moderne - Für eine Zweite Moderne, in: H. Klotz (Hg.), Die Zweite Moderne. Eine Diagnose der Kunst der Gegenwart, München 1996. 

 

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31. Januar 2009 6 31 /01 /Januar /2009 18:39

sein - der Stil der Auseinandersetzung, die brutale Ablehnung jeden Einspruches, die herablassende Überheblichkeit im Umgang mit Publikum und Kritikern nähren sich aus den gleichen trüben Quellen: „Was ist Demokratie? Das Leben - erarbeitet durch die Angst um unser tägliches Vaterunserbrot. Wir wollen lachen, lachen, und tun, was unsere Instinkte heißen. Wir wollen nicht Demokratie, Liberalität, wir verachten den Kothurn des geistigen Konsums (...)“ .Das ist Dada a la Hausmann, könnte aber ebensogut Marinetti sein. Die Avantgarde gebärdete sich von Marinetti bis Huelsenbeck, von Dali bis Breton als autoritärer Clan“ (Enzensberger). Indem sie in ihrem manichäischen Allmachtstraum das Wahrheitsmonopol für sich in Anspruch nahm, ersetzte sie den Dialog mit Tradition und Publikum durch den Monolog - nicht umsonst ist das Manifest mit dem aufgeregten Predigtton des Religionsstifters das allen avantgardistischen Bewegungen gemeinsame Markenzeichen (vgl. die österreichischen Sektengründer der Kunst nach 1960).

 

Bilder auf unserer homepage

            Francesco Bocchini, Testa del Pittor C.Soutine, 2001, mechanism, mixed media, 40x32 cm

 

Die Moderne aus konservativer Sicht

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass Benn schon 1934 ausgerechnet „die Geschichte“ als Zeugin für Marinettis Leistung anrief und damit ungewollt die inneren Widersprüche der futuristischen Ästhetik aufzeigte. Tatsächlich war der Futurismus als ästhetisches Programm zu diesem Zeitpunkt längst seinem eigenen Verdikt gegen den „Passatismus“ anheim gefallen: Wer gestern von heute war, ist zwangsläufig morgen von gestern - der Futurismus war selbst Geschichte geworden und ebensosehr zu einer Maske erstarrt wie die Bewegungen, die er einst so feurig bekämpft hatte. Ein Schicksal, das auch alle anderen Avantgardebewegungen ereilen sollte, und das durchaus unabhängig von ihrer politischen Couleur. Allesamt zerschellten sie an denselben Widersprüchen, denselben theoretischen Unzulänglichkeiten. Abgesehen davon, dass sich die theatralische Erregtheit, die ein wesentliches Agens der Avantgarden war, nicht auf Dauer konservieren ließ, überschätzten ihre Pioniere Macht und Aufgabe der Kunst maßlos. Mit ihrer messianischen Überhöhung der künstlerischen Mission folgten sie blind dem alten 19. Jahrhundert, und das im festen Glauben, es weit hinter sich gelassen zu haben. Ihre Naivität rächte sich. Das System, das sie bekämpften, war stärker als sie. Es absorbierte sie alle. Heute hängen die futuristischen Gemälde einträchtig neben dadaistischen Kollagen, und das ausgerechnet in den Gebäuden, welche beide Parteien am liebsten niedergebrannt hätten: den Museen der Welt, den rituellen Weihestätten bürgerlicher Kunst.

 

Der Zwang zur Abstraktion

Die Verweigerung des Menschenbildes und Forcierung der abstrakten Figur entspricht einerseits eine revoltierenden Protesthaltung gegen die figurative/dekorative Kunst des 19 Jahrhunderts (Malewitsch u a) und andererseits der ästhetischen Abstinenz bestimmter Sektenauffassungen schon in den 20-Jahren (de Stil, Mondrian) und einer antihumanen Dekorationshaltung im folgenden. Nach 1940 entwickelt sich daraus im Rahmen des Kalten Krieges und in der Verachtung des Humanismus (menschlichen Fähigkeiten wird nur im Rahmen des Unbewussten und Spontanen Kreativität zugestanden) und seiner Zerstörung durch den Faschismus und Weltkrieg eine regelrechte Abstraktions-Manie, ein Verbot der Darstellung des Menschen und aller anderen realen Figuren und deren Beziehungen, insbesonders deren sozial-politischen Aspekte. Das L`art pour l´art setzt sich nunmehr von der USA ausgehend auch als Gegenbewegung gegen den faschistischen und kommunistischen Kunstkitsch durch und wird zeitweise als Kampfmittel im Kalten Krieg gegen jegliche figurative und realistische Bewegung wirksam eingesetzt. Diese bedenkliche Instrumentalisierung einer künstlerischen Formintention diskreditierte diese und ihr Gegenteil bis in die 70-Jahre in Zentraleuropa. Heute stellt sie eine der Differenten Artikulationsmöglichkeiten der Bildenden Kunst: so abstrakt das Bild so imaginativ die Leistung Rezipienten (Willkür und Scharlatanerie sind nicht leicht zu erkennen, insbesonders wenn der Martpreis hoch ist).

 

 

                        Linde Waber, aus der Serie Natur, Eitempera und Sand auf Leinen, 2006, 80x65 cm

 

Art Brut und Dubuffet

Dubuffet sucht, wie so viele andere Künstler des Jahrhunderts, dem Werk ein Verhaltensmuster voranzustellen. In seinem Falle erscheint dies gerade der am wenigsten originelle Zug zu sein. Der Einfluss lässt sich über die Surrealisten, Dadaisten, über Duchamp zu den Futuristen zurückverfolgen und kommt hier an die prinzipielle Grenze, die die Konfrontation Gesellschaft gegen Kunst von der Konfrontation Kunst gegen Gesellschaft scheidet. Für die Impressionisten blieb die Gegnerschaft noch die Rezeptionsschwierigkeit der Zeitgenossen, erst Futuristen und Dada verlegten pointiert die Schranken adaptionswilliger Rezeption des jeweilig Neuen. Hier wurde Avantgarde geradezu ein Kampf gegen das Verstehen, sie versuchte zumindest, die Einfühlung - nicht umsonst ein Hauptwort der Zeit - zu retardieren. Dubuffet bringt streng genommen, nicht mehr als das Revival einer Haltung, von der das feindliche Publikum schon eine Generation zuvor ausgegangen war. Der Versuch, sich in eine Außenseiterstellung zu bringen, zu glauben, es gäbe einen vom Staat und vom Geschmack nicht patronisierten Platz, hat sich im Falle Dubuffets als ebenso illusorisch erwiesen wie schon im Falle Duchamps und Dadas. 

 

Adi Brunner, encounters, Acryl auf leinen 2007, Grazer Malwerkstatt „Jugend am Werk“

Die Behauptung Dubuffet bleibe ein Dorn im Kulturleib des zwanzigsten Jahrhunderts, kann man nicht ernst nehmen. Zwischen Manifest und Werk besteht hier eine zu starke Divergenz. Man mag sich hypothetisch kaum eine Situation vorstellen, in der in unserer Gesellschaftsstruktur der breite Kulturbegriff nicht mehr hinreichen würde, ein Werk zu decken. Man dürfte sich schwer tun, in den letzten drei Jahrzehnten, während derer Dubuffet seine antikulturelle Einstellung zum Oeuvre ausbaute, Situationen zu benennen, die so etwas wie Zensur vorführten. Ich glaube, daß Dubuffets Haltung, der man ein überzeugtes Evangelistentum nicht absprechen kann - die Schriften und Briefe belegen dies -, im Grunde in der Unfähigkeit zum Skandal zu suchen ist, die jegliche kulturelle Aktivität in unserer westlichen Nachkriegsgesellschaft betrifft. Das System, das sich Dubuffet errichtete, polemisch, im Unterschied zu dem Duchamps aber frei von jeglichem Zynismus, ging vom Glauben aus, dass es innerhalb der alles gestattenden Kultur noch Reservate gebe, die den Liberalismus in Sachen Kultur außer Kraft setzen könnten. Deshalb richtete sich das Interesse Dubuffets vor allem auf solche Äußerungen, die am Rande des Anerkannten auftauchten, auf die art brut. Der Begriff der „Bildnerei der Geisteskranken „ , der bei Hans Prinzhorn 1922 schon seine gegen Lombroso geführte Nobilitierung erfuhr, wurde von Dubuffet hier variiert, um all die Formen kultureller Aktivität zu erfassen, die in solipsistischer Isolierung entstehen. 1945 beginnt Dubuffet systematisch, vorübergehend auch von Andre Breton unterstützt, Werke von Psychopathen, Introvertierten, Sonderlingen, Provinzlern zu sammeln und auszustellen. Er spielte diese Kunst (?), die in einem nicht kulturellen Zusammenhang entstanden sein soll, gegen die Galerien- und Museumskunst aus. Das Ausmaß, in welchem dies geschah, war neu. Die Interpretation, die Dubuffet diesen Arbeiten gab, unterschied sich auch von der, die bereits in den zwanziger Jahren Max Ernst oder Paul Klee heranzogen. Für diese war die Kunst des psychopathologischen Bereichs, die die verschiedensten Spielarten kultureller und gesellschaftlicher Regression aufwies, eine Art Musterbuch, das einer auf antiakademische und spontane Schöpfung zielenden Kunst zum Ansporn dienen konnte. Die naive und psychopathologische Bildnerei wurde in den Kunstbereich herübergeholt. Anders bei Dubuffet. Auch er ging von der Hochschätzung dieser Arbeiten aus, aber anstatt sie in die Kunst seiner Zeit herüberzuholen, versuchte er, selbst zu ihr hinüberzugehen.

 

Kunst versus künstlerischer Artikulation des Menschen

Jede Artikulation des Menschen mit poetisch künstlerischen Mitteln ist ein allgemein menschliches Moment der praktischen Intervention und damit Mitteilung an konkrete oder/ und abstrakte Adressaten; unabhänging von Gesundheit, Bildung, Kultur, ökonomischen Interessen etc.

„Die jeweilige künstlerische Qualität einer derartigen Formung der Mitteilung zeugt von spezifischen Fähigkeiten dieses Menschen und einem  Überschuss in der emotionellen Intention/der Intensität des Mitteilenden. Dieses "mehr"  fordert geradezu die poetische Ästhetik/Form des nstlerischen.

Eine damit verbundene Frage ist nun : Ist die jeweilige künstlerische Form  ein Ergebnis der ckwendung der historischen Kunstergebnisse in das Alltägliche/überschwengliche (Romantik des Gefühlsausdruckes),  oder das Ergebnis  einer erlittenen oder gewollten ästhetischen Deformation der Weltreflexion? Je nachdem wie die Antwort ausfällt, kann von einem Kunstwollen oder von einer spezifischen, allgemein menschlich gegebenen, ästhetischen Artikulation gesprochen werden. Der Unterschied besteht nicht in der verschiedenen historischen ästhetischen Einbettung der Artikulation, sondern in der historischen Reflexionsfähigkeit des Kunstsystems als besondere Form gesellschaftlicher (nicht mehr oder weniger solipsistisch individuell, wie im Krankheitsfall) Artikulation. Diese historisch sich entwickelnde, gesellschaftliche Fähigkeit der ästhetischen Produktion macht den Künstler aus. Nun liegt der spezifische Reiz der art brutform in einem besonderen ästhetischen Rückgriff (Kindheit, psychische Unterentwicklung/"Fehlentwicklung", Solipsismus), welcher mehrfach überdeterminiert ist:

romantisch durch die Betonung der Unmittelbarkeit der Emotionen des imaginierten Kindes;

als Gegenposition zu den disziplinierten Deformationen (Normen) der Kultur; 

als kritische affirmation des randständigen / ausgeschlossenen in dieser welt ;

zur widersprüchlichen / deformierten visuellen Abarbeitung der vorurteilshaften, realen Sicht;

die Konnotation krank / Genie / nichtangepasst / Narretei der Kunst.“

 

 

Peter Pongratz, Thyrsis und Corydon, Acryl auf Papier, auf Leinwand, 51*56 cm, 2007

 

„All die genannten Überdeterminationen nutzt Peter Pongratz in seinem Werk einer radikalen realistischen aber in  art brut quasi versteckten Kunst. Eine Kunst  der scheinbaren Naivität, die bösartig / boshaft das Böse zeigt. Selbst die Idyllen der "Bukolika" sind hintergründig böse. Aber auch das Schöne, in den "Blumen der Nacht" zur geheimnisvollen Blüte gebracht, widersetzt sich trivialer Schönheitssichten. Wir müssen uns zuerst von unseren visuellen Vorurteilen befreien, um seinen Chiffren näherzukommen. Im Gegensatz zu der künstlerischen  Artikulation der geistig Behinderten und der Kinder sind die formalen Elemente Peter Pongratzs keine des inneren  Zwanges oder Symbole der Gefangenheit, sondern, wie z.b. bei L. Caroll die Mimikry des erstaunten Entsetzens im imaginierten Realen.  Die Wahrnehmung der Rezipienten wird spezifisch in ihrer vorurteilshaften Wertigkeit gestört, um die Botschaft in einem kritischen Terrain flottieren zu lassen. Das scheinbar Kindliche / "Kranke" ist garnicht  kindlich, krank oder lieb. Es ist mit den "erwachsenen" Inhalten unserer Zeit gesättigt, die da sind : Krieg, Unfreiheit, Ungerechtigkeit, aber auch Schönheit und Liebe. Für die realen Schrecken ist die künstlerische Gestik der deformierten Figur seit Picasso Ausdruck des Widerstandes und der Opposition. Wie bei Baselitz die Umkehrung der Figur, bei Beibehaltung des Motives, zur größeren Konzentration auf die formalen (intensivierenden) Aspekte der Malerei beiträgt, so nutzt Peter Pongratz die Formen der art brut. Das Motiv und die Form konterkarieren sich wechselseitig. Seine Musikalität, seine zweite Sprache weist der Malerei die Referenz in der Verstärkung. Wenn Pongratz uns emotional gar nicht entlasten will, dann werden seine Bilder schwarz und schrecklich wie der reale Krieg...

Ironie ist das Mittel der Narren, um die Wahrheit sagen zu können, Pongratz ist ein Wahrheitssucher unter den Künstlern. Er hat mit Deleuze (Logik des Sinnes)  von Caroll und Anderen (die Einbindung in die reflektierte Kunstgeschichte macht ja den Unterschied zum Kind/Kranken) gelernt, die Einzigartigkeit der Grausamkeit des Realen real zu formulieren und virtuell zu übersteigern. Karthasis.“ (R.S. vgl. Bukolika, 2007)

Dubuffet  versuchte eine Sezession jenseits des Museumsfähigen. Allerdings findet sich in der Argumentation, die Dubuffet heranzieht, eine erstaunliche Parallele zu Bretons Überzeugung, die Poesie könne und müsse von allen hervorgebracht werden. So schreibt Dubuffet: „lch bin völlig davon überzeugt, daß jedermann ohne besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten... sich der Kunst verschreiben kann, mit aller Aussicht auf Erfolg“. Man darf jedoch diese so altruistisch klingende Stellungnahme Dubuffets nicht auf die Goldwaage legen, denn prinzipiell bleibt er mit seinem Werk, das er scharf von der so begönnerten Art brut trennt, durchaus im Bereich des Kulturellen. Was er zustande bringt, ist allenfalls ein Mimikry dieser so spontan erscheinenden nichtkulturellen Kunst. Er ist in seiner Art ein Jean-Jacques Rousseau und wie dieser, vom Dilemma einer unerreichbaren Natürlichkeit gezwackt, zu Prozeduren überlegter Künstlichkeit aufgerufen. Der Lebensweg Dubuffets zeigt, daß die Ablehnung des offiziellen Wegs, des Wegs über eine der zahllosen avantgardistischen Gruppenbildungen des Jahrhunderts, sehr stark im Biographischen begründet liegt. Wiederholt unternahm es Dubuffet, Künstler zu werden, und immer wieder kehrte er zu seinem einträglichen Weinhandel zurück. Als er dann schließlich 1942 definitiv seinen Beruf an den Nagel hängte, blieb von diesem Hinundhergerissensein sicher eine Entfremdung gegenüber dem wiederholt umworbenen Kulturbetrieb übrig, Entfremdung, die sich nun in einer scharfen Reaktion gegen diesen Betrieb selbst Luft machte. Offensichtlich entlieh Dubuffet die Mittel seiner Malerei den Leuten, die er gleichzeitig unter dem frappierenden Begriff „art brut“ zu sammeln begann

Mario Dalpra „das Paar“ 2003

 

Das Selbstbewusstsein der Moderne

ist, etwas zu tun, was unseren Wünschen und Vorstellungen entspricht: Dies ist das Moment der Performativität, das uns zu Subjekten als tätige Wesen macht. Wir entdecken nicht einfach, wer oder was wir sind, sondern aufgrund der Tatsache, dass wir als lebendige Wesen ständig in Bewegung sind, verändern wir von Minute zu Minute die Welt, in der wir wahrnehmen und handeln. Wir sind nicht nur Zeuginnen, sondern Erzeugerinnen dessen, was wir als real erleben. Das lebendige Wesen ist ein Selbst im Prozess, ein Selbst im Werden, ebenso Produkt seiner Umgebung wie sein Produzent. Eben deshalb hat das Selbst im Werden eine temporale Struktur. Es ist im Fluss, lässt sich nicht fassen oder verstehen durch eine statische Momentaufnahme. Wenn wir uns dennoch als Einheit wahrnehmen, so deshalb, weil wir Symbole verwenden - oft genug von außen oktroyierte Symbole, die uns in unserer Vorstellung Einheit, Abgeschlossenheit und Stabilität verleihen. Diese Einheit ist aus diesem Grunde keine „reale“, sondern eine imaginäre im Sinne Castoriadis oder eine phantasmatische im Sinne Lacans; Bewusstsein, Geist, Symbolgebrauch sind nicht einfach faktische Gegebenheiten. In der analytischen Philosophie hat sich die Frage nach dem, was es heißt, ein Subjekt zu sein oder was Subjektivität bedeutet, auf deren Form sprachlichen Ausdrucks verlegt, nämlich auf Aussagen in erster Person bzw. in der Ich-Form. Solche Aussagen haben, so wird festgestellt, die Form „lch-hier-jetzt“ und enthüllen das Kernelement von Subjektsein und Bewusstheit. Das heißt, sie verweisen auf die unaufhebbare Situiertheit, in der wir uns als Subjekte erleben. Situiertheit bedeutet aber zugleich, dass Leibhaftigkeit (Möschl) , Inkarniertheit essenziell sind für jede Manifestation des Selbst-Seins als Subjekt-Sein. Die Philosophien, vor allem die Merleau-Pontys, Langers und Plessners, sowie die Arbeiten des Neuropsychiaters Israel Rosenfield ( 1992) liefern überzeugende Argumente dafür, dass die spezifisch geistigen Fähigkeiten des Menschen ihre Grundlage in den organischen Leistungen des Lebendigen haben.

 

 

Jürgen Messensee , Zahnreihe 2001

 

Die Postmodernität als wahre Moderne

Parallel zur Entwicklung des kapitalistischen Systems als Weltsystem mit allen seinen historischen

Entwicklungs-Stockungen und Krisen (Weltkriege, Faschismus und Revolutionen), trat in der

Wissenschaft und in den allgemeinen Denkformen der Menschheit ein neues theoretisches Paradigma

zutage, welches die alten Formen der Auffassung einer deterministischen Entwicklung (Entelechie) zu

einem einheitlichen Ziel desavouierte. Die Entwicklung der Natur und deren Gesetze wurden unter

Berücksichtigung der zeitlichen Lokalität und Relativität dieser Gesetze denkbar. Das Chaos wird

integraler Bestandteil des Realen, der absolute Zufall ergänzt den deterministischen relativen des

alten Welt-Systems. Die Quantenphysik mit ihren Paradoxa wird unter den Paradigmen der

Chaostheorie als ein Spezialfall der a-historischen Gesetzesformulierung gesehen. Die Beziehung

klassische Quantenphysik und chaostheoretische Quantenphysik stellt sich daher ähnlich der

Lorenztransformation dar: von der Relativitätstheorie zurück zum klassischen Newton so I. Prigogine). In den Sozialwissenschaften, insbesonders in der politischen Ökonomie, hat schon Marx das Problem der Selbstreferentialität und relativen Autopoiese des politökonomischen Systems bei aller revolutionärer und krisenhafter Einbindung in das Weltsystem formuliert- wenn auch mit anderen Worten (vgl. In der Verallgemeinerung meine Werttheorie).

Auch in der Kunst wird nach Bachtin spätestens mit Dostojewsky, aber wahrscheinlich schon mit Sterne und Caroll die Multizentrizität und Relativität der Stileinheit des Werkes eingeleitet. Nonsens und Sens, Zeitkonstruktionen der Relativität, das Vorbewußte, Gegenwärtiges und Vergangenes, das

Denken und Fühlen.. alle Dimensionen menschlichen Erlebens werden in ihrer ästhetischen

Dimension Quelle und Ergebnis des künstlerischen Schaffens. Die Künstler schaffen damit eine

Sinnes/Erkenntnismaschine für diejenigen Menschen, welche sich jeweils dieses Werkzeuges je nach eigenen Fähigkeiten und ästhetischem Erlebnisfundus bedienen können.

 


 

Mario Dalpra, think forward, 2008, Acryl on canvas, 140x190 cm

 

Die Relation ist: Realität ästhetische Bewertung der Realität, Konstruktion der künstlichen Realität auf Basis des ästhetischen mit den spezifischen Mitteln der Immanenz des Produktes (die Form)..Das Kunstwerk ist eine Maschine, es ist die Maschine der multiplen Persönlichkeit daher der inneren mehrschichtigen Kommunikation fähig, in der einzigartigen Wirklichkeit des Menschen  – als virtueller (die mit der Zukunft und Vergangenheit aufgeladenen Gegenwart – d.i. die aktualisierte Wertebene des Subjektes). Je nach historischem Standpunkt, individueller Entwicklung und Vermögen realisieren die Künstler ihre Kunstmaschinen der Unterwerfung, Emanzipation, der weiblichen, der kindlichen, der religiösen, der ... Seinsweise , mit den Kunstmitteln der Immanenz, der Äußerlicheit, des Dekors, der philosophischen Tiefe, der stofflichen Exzesse, der formalen Regellosigkeit bis zur strengen Privatsprache. Die reflektierten Künstler sind sich Ihrer Wirkung und der Fähigkeiten ihrer Rezipientenklientele bewußt, spielen mit deren emotionell-intellektuellem Vermögen. Je nach Mode der herrschenden Schichten werden die Künstler fürstlich entloht, erzielt man für deren Werke oft erst posthum exorbitante Preise, errichtet für sie Museen, Opern, Theater oder Statuen..Die Sprache der Kunst ist eine höchst performative (beeinflusst unser Fühlen, Denken und folglich das Handeln), vorallem deswegen daher ist die Kunst in Krisenzeiten heiß umkämpft.

Wir leben in einer Zeit der Verallgemeinerung des Kapitalistischen Systems im Weltmaßstab, mit allen

Problemen der Integration, des permanenten Umbaues des Systems ohne Ziel und ohne bestimmter

Zukunft. Die reale Entwicklung wird mittels bewusster Einflussnahme, realen Zwängen und

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31. Januar 2009 6 31 /01 /Januar /2009 18:36

Ende der reinen Kunst - Produktivismus  (Stepanowa /Rodschenko)

Von 1920 bis 1923 waren Rodtschenko und Stepanowa Mitglieder des Instituts für Künstlerische Kultur. Rodtschenko war Leiter des Büros des „Museums für Kultur“ sowie Mitglied jenes Präsidiums, wo er von 1920 bis 1921 der Gruppe für objektive Analyse angehörte. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts arbeitete er als Maler und Graphiker und schuf vor allem Auftragsarbeiten. 1921 malte Rodtschenko sein letztes Bild, ein Triptychon in Rot, Gelb und Blau, das das Ende der Malerei signalisieren sollte. Danach gab er die Versuche und Experimente auf dem Gebiet der reinen Kunst auf und wendete sich der produktivistischen Kunst zu. Die Ideologie des Produktivismus lehnte die traditionelle Funktion der Kunst ab, die in Museen ausgestellt wird oder als Dekoration dient. Er beschäftigte sich mit Arbeiten im Bereich von Graphik, Gestaltung und Kunsthandwerk. Nach der Aussage Rodtschenkos sollte die Kunst das Museum verlassen und in Form von Gegenständen zum Element der gesellschaftlichen Seins werden. Ab diesem Moment nimmt die Kunst Rodtschenkos einen sozialen Charakter an.

Handelsreklame und Polygraphie waren das erste Gebiet, auf dem Rodtschenko nicht nur gelegentlich, sondern ab 1923 ständig tätig war. Sein neuer Interessenkreis führte zu einer engen schöpferischen Zusammenarbeit mit dem Dichter Majakowski. Er schuf Illustrationen für dessen Poem „Pro eto“. Zusammen verfertigten sie in knapp zwei Jahren etwa 50 Plakate, fast 100 Firmenschilder, Pack- und Bonbonpapiervorlagen, Leuchtreklamen sowie Bildreklamen für Zeitungen und Zeitschriften. Sie arbeiteten für das Warenhaus GUM, Mosselprom, Gosisdat, Resinotorg und für die Gewerkschaften. Der Inhalt von Majakowskis und Rodtschenkos Reklametätigkeit wuchs weit über die Werbung für Produkte der staatlichen Unternehmen hinaus. Der Dichter und der Künstler agitierten auch für die Entwicklung der Technik, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und andere gesellschaftliche Belange. Rodtschenkos Stil der Reklamegraphik war einfach und klar und harmonierte mit den lakonischen, wortspielerischen Zweizeilern von Majakowski. Die Werbetexte und Bilder waren maximal funktionsgerecht, frei von jeder überflüssigen Information. Rodtschenko arbeitete mit großen, einfach geformten, leicht lesbaren Buchstaben und benutzte oft große Ausrufe- und Fragezeichen. Die Anwendung des Pfeils in der Komposition, der Symmetrie der Anordnung der Buchstaben und anderer graphischer Elemente erleichterte die Entschlüsselung des Plakats für den Betrachter. Verbindung/Verschmelzung von Kunst und Leben führt letztendlich ins Design.

Der Einsatz künstlerischer Mittel für sozial/gesellschaftliche Zwecke ist legitim aber m.E. ist das Ergebnis kein Kunstwerk, funktioniert trotz des performativen Gestus auch nicht wie Kunst – sei der erzielbare Marktpreis heute auch noch so hoch.

 

Die faschistischen/rechtsradikalen Artikulationen der Klassenspaltung in der Kunst

Marinetti liebte die messianische Geste, prangerte die angebliche Fäulnis des Zeitalters an und delirierte vom neuen Menschen. Doch seine Vision von sozialer Gesundheit wies schon im ersten Manifest in eine deutlich rechtsradikale Richtung: „Wir wollen den Krieg verherrlichen - das einzige Heil für die Welt - den Militarismus, den Patriotismus, die zerstörerische Geste der Anarchisten, die schönen Ideen, welche töten, und die Verachtung für die Frau.“ Der kraftmeierisch dummdreiste Militarismus und Machismo Marinettis war weit mehr als ein geschmackloser Reklamegag – auch Hitlers „Mein Kampf“ wurde als Programm nicht ernst genommen. Der Futurismus war seinem Wesen nach ein brutaler und zynischer Antiintellektualismus. In den Schafspelz der Ästhetik gehüllt sang Marinetti das Hohelied der Borniertheit und des Ressentiments. Von der künstlerischen Maskerade eingenommen, stimmten auch viele darin arglos ein, denen es vorrangig um Fragen der Bildgestaltung ging und die den Zug in die Zukunft und damit in die Kunstgeschichte nicht verpassen wollten. Marinetti konnte aber ebenso auch auf die Masse derer zählen, denen intellektuelle Innovationen nicht geheuer waren; dagegen setzte Marinetti die Tat, den Kurzschluss, die Gewalt. „Was gehen uns die Frauen an, die häuslichen, die Invaliden, die Kranken und all die treuen Ratgeber? Ihrem unbeständigen, von düsteren Kämpfen zitternden Schlummer und schreckniszerschnittenen Leben ziehen wir den gewaltsamen Tod vor, wir verherrlichen ihn als den einzigen, der des Menschen würdig ist, des Raubtieres würdig ist. Wir wollen, dass unsere Kinder fröhlich ihrer Laune folgen, brutal den Greisen sich entgegensetzen und auf das pfeifen, was die Zeit geheiligt hat“, hatte es im zweiten Manifest geheißen. Und vom italienischen Überfall auf Libyen im Jahr 1911 schrieb er als Kriegsberichterstatter an die Kollegen daheim: „Futuristische Dichter, Maler, Bildhauer und Komponisten Italiens! Solange der Krieg dauert, lassen wir Verse, Pinsel, Meißel und Orchester beiseite! Es haben die roten Ferien des Genies begonnen! Heute können wir nichts anderes mehr bewundern als die großartigen Symphonien der Schrapnelle und die wahnwitzigen Skulpturen, die unsere inspirierte Artillerie aus den Massen der Feinde formt.“

Seine Worte fielen auf furchtbaren Boden. Die meisten Futuristen waren bekanntlich glühende Befürworter einer Beteiligung Italiens am ersten Weltkrieg. Benito Mussolini betätigte sich, als er noch nicht der Duce war, eine Zeitlang als Aktivist bei futuristischen Unternehmungen. Marinetti schrieb 1918 ein politisches Manifest, in dem er die Kunst an den Faschismus verkaufte. Das lag durchaus in der Logik der Sache, denn wenn die Avantgarde Kunst und Leben zusammenführen sollte, dann war Parteiarbeit sicher wirkungsvoller als Dichterlesungen. 1934 begrüßte Gottfried Benn ihn auf einem Bankett in Berlin im Namen der Union nationaler Schriftsteller in völkischer Verbundenheit mit den Worten: „Exzellenz Marinetti (...) Welche ungeheuren Folgen hatte Ihr berühmtes Manifest, das 1910 bei uns bekannt wurde, welche ungeheure Verwandlung des europäischen Geschlechts drückte es aus! Mitten in einem Zeitalter stumpfgewordener, feiger und überladener Instinkte verlangten und gründeten Sie eine Kunst, die dem Feuer der Schlachten und dem Angriff der Helden nicht widersprach. Ihr Manifest wirkte verblüffend, als es erschien, es wirkt heute noch verblüffender, da alle ihre Formulierungen Geschichte wurden. ...“

 

 

Bilder auf unserer Homepage

Marinettis Manifest

 

 

Die Autonomie der Kunst, Die Kubistische Revolution und Picassos neuer Realismus

Ein paar Worte zuerst vom Namen „Kubismus“, damit man ihn nicht als Programm auffasse und so zu falschen Schlüssen gelange. Ein Schimpfwort seiner Gegner ist er, wie es schon der Name „Impressionismus“ gewesen war. Sein Erfinder war der damalige Kunstkritiker des „Gil Blas“, Louis Vauxcelles, der schon einige Zeit vorher, in den Jahren 1904/5, einen anderen sinnlosen Namen für die damalige „Avantgarde“ der Independants ausgebracht hatte, das zum Glück wieder verschwundene (heute wieder übliche) Wort „les fauves“, die wilden Tiere. Ihm begegnete im September 1908 Matisse, der in diesem Jahre Mitglied der Jury des Salons d’Automne war, und der erzählte ihm, Braque habe zum Herbstsalon Gemälde „avec des petits cubes“ gesandt. Zur Beschreibung zeichnete er auf ein Stück Papier zwei aufsteigende, oben sich berührende Linien, und zwischen diese einige Würfel. Es handelte sich um Braques Estaquelandschaften aus dem gleichen Frühjahre. Mit der solchen Körperschaften eigenen Feinfühligkeit lehnte die Jury von den fünf eingesandten Gemälden zwei ab, worauf Braque alle fünf Bilder zurückzog.

In der kubistischen Formzertrümmerung bleibt der Gegenstandsbezug, wie verzerrt auch immer, erhalten. Kubisten haben die Wirklichkeit, selbst die optischen Gegebenheiten genau untersucht, im Grunde ist diese Malerei realistischer als etwa Dalis unzüchtige Klaviere. Gewiss, auch der Kubismus ist ein Beispiel dafür, dass wir uns spezialisieren und unser Leben sich teilt; was aber offenbar unteilbar blieb, war der Sinn für Malerei in ihrem materiellen, ursprünglichen Kern. Dazu kommt, dass die Kubisten jenen Anteil geltend machten, der nur durch die Tatsache, dass eine Gruppe Maler die Merkmale unserer Welt neu buchte, unser Empfinden und unser Raumgefühl mit erneuert hat. Es geht, im Ensemble kubistischer Bilder, um die Malqualität: zumal dort, wo das Raumproblem geradezu übersprungen oder zu einem jeu d'esprit wird, setzt eine Malerei ein, die Nuance und Genauigkeit, die Spur der Pinselstriche und die Definition des Zeichens paart. Braque geht, in dieser Übersensibilität, Picasso noch voran: aber der Spanier, härter in den Konturen, eher von der Negerplastik als von Cezanne fasziniert, kommt zu Kombinationen von Grautönen, gebrochenem Ocker, Erdfarben, die nie schmutzig wirken, um einen Violinspieler, der natürlich keiner ist, einer Frau mit Mandoline, aus Hell- und Dunkeltönen jene stoffliche Individualität zu verleihen, und die, paradoxerweise, dem Gegenstand, als Thema oder Sujet gesehen, fehlt. Malerei ist hier auf einen Höhepunkt getrieben, der Selbstbewusstsein im Umgang mit einer Kunst zeigt, die, im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit, genau dieses Selbstbewusstsein eingebüsst hat.

Das kubistische Bild stellte neue Anforderungen an die ästhetische Wahrnehmung. Ein lediglich wiedererkennender Blick reicht vor diesen Bildern nicht aus; es muss so etwas wie ein sehendes Sehen, ein von der „normalen“ Seherfahrung freigesetztes, konstruktives, imaginatives Sehen hinzukommen, um den Betrachter vor einem kubistischen Bild nicht scheitern zu lassen. Imdahl hat über den Zusammenhang von Bildautonomie und Gegenstandssehen einen nach wie vor beeindruckenden Aufsatz geschrieben und gezeigt, wie in der Verknüpfung von wiedererkennendem und sehendem Sehen die kubistischen Bilder den Betrachtern zugänglich werden können.

 

 

Jürgen Messensee, Körper, 2004, Acryl auf Leinen, 55x81 cm

„Das Rot des KATAMARANS erregt, dupliziert die Formen der Leidenschaft in den sattroten  weiblichen Segmenten.

Die Spektralverschiebung im Rot relativiert und verkoppelt die Intensitätsdifferenzen  des Begehrens von Augenbrauen, Mundhöhle, Brüsten, Nabel, Schamhaar und Zweikörperrand.

Wo ist der Kopf?

Der organlose Körper ist befreit!

Ein blaues Auge zeigt unser erotisiertes Schauen, starr wie das Aug’ der Medusen, entkleidet jeder Symbolik, ein Werkzeug für das Obszöne der Wahrnehmung und der Imagination der Rezipienten.

Sadismus des Blaus, fein quälend die geschundene Sucht.

Masochismus im Rot des nicht beißenden Mundes, lockende und verweigernde Geste der Lust renaissancegequälter Madonnen.

Verschoben, verschachtelt, verbogen, gerissen das Papier in charakteristischer Form des sich verweigernden Begehrens.

Wie Lacan in seinem Leiden am Versagen der letztlichen  Erfüllung. Die Verletzung, die Unsagbarkeit, die symbolische Kastration der Geschlechter in deren Begegnung. Die „Netzhautmalerei“, das heißt die Objektproduktion der Maler für den „geschmäcklerischen“ Genuss, welche seit dem Impressionismus über  Picasso bis heute mit Recht verpönt ist, ist aber  im Akademismus der Postmodernen  (vgl. Adorno „Über das Altern der Neuen Musik“)  die weit verbreitete  Methode der Kunstproduktion.

Dagegen war vor fast einem Jahrhundert : Das Grosse Glas Duchamp’s  („Die Braut von ihren Junggesellen entblösst, sogar“ ....), das 1923 entgültig unvollendet ausgestellt wurde, der  kritische Bruch mit der gängigen Kunstauffassung, welcher bildlich realisiert wurde.

Jürgen Messensee stellt sich dieser Kritiktradition der bildenden Kunst: Denken und Erleben ist kontrastreich künstlerisch zu verbinden.

Die INTENSITÄT, als Hauptkriterium des messenseeischen Gelingens, hat ihren historischen Bezug vorallem  bei Van Gogh, der innovative Umgang mit Raum und Farbe  hat seine  Quelle bei Cezanne.

Jürgen Messensee`s Innovation zeigt sich in der Verlangsamung, der stringenten Verdichtung, der Ballung der sinnlichen Energien, der besonderen Messenseeischen Intensität, dem Suchen und Finden der Momente des sinnlich Intensiven (Bataille), den Wegen des Aufspüren’s der Energieflüsse und deren Stockungen, deren tausend Plateaus und dies alles simultan im transgredienten Subjekt (Bachtin) dargestellt, im Bildobjekt  strukturierter komplexer Texturen. 

Jürgen Messensee’s  Werk/Artikulation ist die ironische (gebrochen im Sinne der Romantik) Kritik der Malerei von der Renaissance bis heute, als Malerei, welche die intelligenten Ideen und deren sinnlichen Genuss in der kalkuliert haptischen Intuition der Produktion über die Farbe und den Stift zum Ziel hat. Radikal- im Gegensatz zu opportunistischen Rezipientenideologien-  vermittelt Jürgen Messensee, dass der Künstler das Bild schafft, welches der Rezipient je nach Fähigkeit mehr oder minder in der Lage ist  zu erleben/zu erkennen. Messensee versucht Kunst und Leben, Werk und Rezipient nicht zu versöhnen.

“ (aus: R.S.Katalogtext „Papiere“ 2006)

 


Was bedeutet der Kubismus, abgesehen von den bildnerischen Momenten ? Doch eine Fehde zwischen dem, was die Wirklichkeit sichtbar als Modell vorschlug, und den Imagines der Maler. Bei Picasso wird diese Spannung immer wieder offenbar, auch wenn er die eigentliche kubistische Malerei längst aufgegeben hat. Einmal ist das Bild ein Kunstgegenstand, den Gegenständen gleichwertig, die die Wirklichkeit bevölkern, zum anderen ein Spiel mit Stoffen, aus denen eine Pfeife, eine Fruchtschale, das Päckchen Tabak oder die Gitarre bestehen. Im Gegensatz zu Klee und Kandinsky zieht Picasso mit der Malfarbe Stofflichkeiten ins Bild, die Farbe ist also kein Stoff an sich und entbehrt symbolischer Werte. Blau ist Email oder eine Bluse, keine typisch himmlische Farbe, wie Kandinsky es wollte, die beruhigt, weil sie sich entfernt. Woraus sich ein anderer Widerspruch ergibt, der Picassos Malerei bis heute begleitet: diese Knochenfigur, diese Eule, diese Violine lassen sich zwar umkehren, die Faszination des Gegenstands schlägt jedoch stets durch die Ölpasten durch. Malerei ist zwar Kunst, eigentlich aber nur ein Hilfsmittel, mit dem man notdürftig ein Ding verkörpern kann. Was Picasso ungern akzeptiert hat. Als er wirkliche Materialien, Putzlappen, Papierfetzen, Wellpappe oder Holzstücke in seine Leinwand klebte, wollte er nicht, wie Braque, das Bild vielfältiger und greifbarer machen. Er wollte es im Gegenteil zerstören und damit die Grenzen der Malerei verschieben. Denn was sind diese Fremdkörper? Dinge, die keine Dinge mehr sein können, die man allenfalls retten kann, indem man sie in ein Gebilde auf der Leinwand verwandelt, doch diese begrenzte Fläche reicht nicht aus, will man dokumentieren, wie aufwendig sich eine Wirklichkeit aus der Welt schafft.
Die autonome Kunst, die versucht, Fragmente aus der Alltagswelt in die Kunstwelt zu überführen und in das Kunstwerk zu integrieren, überwindet damit nicht die Grenze zwischen Kunst und Alltag, sondern verstärkt sie noch, denn der aus dem Alltagszusammenhang herausgerissene Zeitungsausschnitt beispielsweise hat im neuen Kontext der Kunst seine Identität als Alltagsgegenstand verloren.

 

 

 

Der „Linguistic Turn“ in der Kunstphilosophie

Kahnweiler, der Freund und Kunsthändler von Juan Gris, war der erste, der, neben seinem Hinweis auf den Neukantianismus, Begriffe der Linguistik auf kubistische Bilder übertrug und aus der Spannung zwischen Bezeichnendem, und Bezeichnetem das Neue als eine in ihrer Zeichenhaftigkeit bewußt veränderte Welt erkannte. Von der Thematik her betrachtet bleibt der Kubismus innerhalb einer realistischen Kunst, wie Picasso, der im Unterschied zum früh verstorbenen Gris ausführlicher werden konnte, ja stets den Realismus beibehalten hat. Statt Symbolen kommen, wie Kahnweiler gezeigt hat, Embleme für Seiendes zustande. Am Bestehen der sichtbaren Welt wird dabei nicht gerüttelt. Hier liegt der grundlegende Unterschied zu Malewitsch und Mondrian, deren Werke nur äußerlich eine Konsequenz kubistischer Morphologie darstellen, deren signethaftes Hinausgehen über Wirklichkeit jedoch den Kubismus, dessen linguistischen Glanz, nicht tangieren. Die Überlegungen, die in den Schriften von Juan Gris anklingen, kreisen stets um die Sagbarkeit von Dingen. Er spricht von einer deduktiven Methode: Ein Gegenstand gelangt zur Übereinstimmung mit einer Komposition, nicht umgekehrt. Dies bedeutet, dass Gris jeweils zunächst von autonomen Form- und Farbkorrespondenzen ausgeht, denen abschließend eine eindeutig figurative Suggestion unterlegt wird. Denn in diesem Punkte toleriert Gris auf Seiten des Betrachters keine Freiheit, kein Hineinsehen: ,,Wenn ich die bildnerischen Beziehungen bis hin zur Darstellung von Gegenständen spezifiziere, so will ich dadurch verhindern, dass der Betrachter eines Bildes es von sich aus tut und dass die Gesamtheit der farbigen Formen ihm eine von mir nicht vorgesehene Realität suggeriert." Eine zweifellos wichtige Äußerung: nicht ein Gegenstand wird zerlegt, sondern in einer autonomen Bildarchitektur wird die ihr adäquate Gegenständlichkeit untergebracht. Dies könnte darauf schließen lassen, dass Gris eine informelle Bildwelt im letzten Augenblick gegenständlich determiniert.

 

 

                                   Jörg Kozak, Grazer Malwerkstatt, OT, 2008, 80x60cm

 

Der künstlerische Konstruktivismus

eines Corbusier, Malewitsch, van Doesburg, Mondrian gipfelt in der ästhetischen Allianz von Form und Funktion. Er rangiert als Schlüsselbegriff der Kunst-Moderne neben Montage und Experiment. Der ästhetische Eigensinn des Funktionalismus beruht auf seinen „konstruktivistischen Grundlagen“ im holländischen Neoplastizismus, der alle künstlerischen Einzelleistungen im „Gesamtkunstwerk einer umfassenden architektonischen Gestaltung der Umwelt“ zumindest konzeptionell zusammenfasst. Trotz der Kontroversen zwischen Bauhaus und Neoplastizismus zeigt sich in Gropius „neuer Einheit von Kunst und Technik“ die gleiche Intention auf einen Stil- und Lebensfragen restlos integrierenden Universalismus. Mit ihm verbindet sich für Habermas der „wahre Geist des Projektes der Moderne, der durch alle seine späteren Verfälschungen hindurch transparent und nachvollziehbar bleiben soll“, eine bis heute uneingelöste Antizipation. So wie Habermas das Selbstbewusstsein der klassischen Moderne in der Verschmolzenheit, dem Amalgam von geschichtlichem und utopischem Denken, begründet wissen will, so hält er über das 20. Jahrhundert hinaus an der Möglichkeit einer selbstkritischen Fortsetzung des Projekts der Moderne fest, nach der Form und Funktion, Konstruktivismus und Funktionalismus, Bildende Kunst und Architektur, Darstellungsästhetik und technische Rationalität, Form und Zweck, Schönheit und Nützlichkeit in einem Bindegewebe „kommunikativer Vernunft“ miteinander verquickt sind, im doppelten Wortsinn alles Einzelne und Heterogene aufgehoben ist.

 

 

Beni Altmüller, Siebdruck, Kunstdrucker Andreas Stalzer, Wien 2008

 

Gegen das Ordnungsprinzip der Vernunft hat das Projekt der Postmoderne zu Recht eingewendet, dass in der modernen Kunst- und Architekturgeschichte es den einen Heils- und Königsweg unter Anleitung der aufklärerischen Vernunft so wenig gäbe wie die Geltung eines einzigen universalen Stilparadigmas. An ihre Stelle sei die „Paradigmenkonkurrenz“ (Wolfgang Welsch) der Stile, Medien, Konzepte, Kulturen getreten, allerdings mit der wesentlichen Einschränkung, dass das technologische Paradigma das „verbindlichste“ sei, gewissermaßen das „Standbein“ aller anderen Paradigmen und nicht nur eine ihrer „Facetten“.


Das surreale Bild

Das Paradigma der „revolution surrealiste“ steht für die neben den Formauflösungen im Futurismus und Kubismus wohl radikalste (nicht marxistische) Vernunft- und Verstandeskritik der Moderne und den für Angriff einer Bewusstseinsrevolution auf die Zensurmaßnahmen und Verdrängungsmechanismen bürgerlicher Rationalität, die mit den, allerdings poetisch gebändigten, Ausuferungen des psychischen Automatismus, der traumatischen Hysterie und des Wahnsinns im Zeichen einer „konvulsiven Schönheit“ (Breton) konfrontiert wurde. Der Befreiungsdrang von jeglichem Vorurteil, die Attacke gegen den Formzwang im Namen einer frei flottierenden, riskanten Imagination wurden überdehnt und hatte sich teilweise selber ad absurdum geführt. Die nachfolgenden Prozesskünste mit ihrer Orientierung auf Körperrhythmus, Geste und Geschwindigkeit, das Bewegungs- und Zeiterleben, also abstrakter Expressionismus, Tachismus, Informel, CoBrA, Land Art, Date Paintings, Spurensicherung bis zur medialen Sequenzierung des Körpers in der Gegenwart, haben die Intention auf einen sich selbst ausdrückenden, reinen Schöpfungsakt fortgesetzt. Das Werkhafte, das den Vitalitäts- und Spontaneitätskult Überlebende und Transzendierende der Kunst, die Subjekt-Objekt-Differenz in der Genesis klassischer Kunst, wurden schließlich in einen intersubjektiven totalitären Erfahrungszusammenhang des Künstlers mit der Welt aufgelöst. Entweder wurde der Kunstrezipient zum künstlerischen Koproduzenten erhoben und das Werk auf Idee und Konzeption (Fluxus, Concept Art), häufig nur einen Einfall, den Deklarationsakt und die Künstlersignatur reduziert. Oder der Prozess des Erfahrens wurde zur (Video-)Performance, zum Happening, einem situationistischen, aktionistischen oder kommunikativen Geschehen erweitert, das kein Kunstmarkt und kein Kunstmuseum mehr verdinglichen können sollte.

 

Hari Schütz, An Embossed Force,  Brandbild 2007, 60x80 cm

 

 

Während aber die sichtbare Realität der Materialien und Tätigkeiten bei Fautrier, Dubuffet und Pollock noch, als „Bildlichkeit“ wahrgenommen wird, wird erst in der Bestimmung und Wahrnehmung des Gemäldes als Objekt in dieser Welt die Transzendenz der Malerei völlig aufgegeben.

Stella und Judd lassen vom Gemälde außer der materiellen Oberfläche eines Trägers nichts mehr übrig. Das hatte schließlich den vollständigen Zusammenbruch der ästhetischen Differenz zwischen materiellem Gegenstand und visueller ästhetischer Ordnung zur Folge, nach Meinhardt gleichzusetzen mit dem Ende der modernen Malerei. Diese war mit einem tiefgreifenden Verdacht gegen den Illusionismus der traditionellen Malerei angetreten und musste nun feststellen, dass die letzten noch möglichen Gemälde keine Gemälde im ästhetischen Sinne mehr sind, sondern Gegenstände unter anderen Gegenständen in der Welt.

                                                          

 

Die Moderne im Kalten Krieg nach 1945, die Zeit der Stifter von Kunst-sekten ?

Alle Avantgarden verbindet eine maßlose Borniertheit. Mögen die politischen und ästhetischen Ziele des Futurismus auch diametral von denen anderer Avantgardebewegungen verschieden gewesen

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